Zurück in die Zukunft! Wir haben verstanden: Ohne Frauen ist kein Staat zu machen!
Ich bin 1989 geboren – ich bin also ein sogenanntes Wendekind und habe folglich keine eigenen Erinnerungen an die DDR. Dennoch würde ich sagen, dass ich eine „DDR Sozialisation“ habe. Nur weil ein staatliches System zu Ende ist und ein neues eingeführt wird, sind ja nicht all die Menschen, die mich geprägt haben von heute auf morgen zu „Westdeutschen“ geworden. Ihre Erinnerungen, ihre Sozialisation, ihre Geschichte prägte mich. Ich kannte lange Zeit keine andere Erzählung als diese: Einst gab es diese DDR und dann war sie weg. Viele Jobs und einige Menschen auch. Ein bisschen wie ein Wetterphänomen, Regen zum Beispiel. Erst ist er da und irgendwann wieder weg. Ich habe das so hingenommen und dachte bei Regen finden manche Leute gut, dass es nass wird, andere ärgern sich. Soweit meine damals kindliche Sicht.
Ebenso naturgegeben schien mir, dass Frauen arbeiten, dass Kinder in Kitas gehen und dass Abtreibung nichts ist, was verboten sein sollte. Bei all der berechtigten Kritik an der DDR, ist das wohl eine Vorstellung, die in der so genannten 3. Generation Ost und darüber hinaus geblieben ist. Die arbeitende Mutter, die Frau, die über ihren Körper selbst entscheiden kann. Bilder, die nicht zusammen passten mit den Bildern, wie ich sie aber dann vor allem in den Medien der 90er und 00er Jahre sah. Natürlich ohne mir diesen Widerspruch in dem Moment bewusst zu werden.
Dabei will ich keineswegs behaupten, dass in der DDR 100% Geschlechtergerechtigkeit herrschte. Die Arbeit von Frauen war schlicht ökonomisch notwendig, aber eben auch politisch gefördert. Das führte aber auch zu einer immensen Mehrbelastung von Frauen, die nicht nur Vorzeige Muttis, fleißige Arbeiterinnen und (Haus)frauen waren, sondern sich am besten auch noch für die sozialistische Gesellschaft engagieren sollten.[1] Nicht einmal Wonderwomen würde das schaffen. So verwundert es kaum, dass nur wenige Frauen tatsächlich in höheren Ämter des Staatsapparates gelangten. Im Zentralkomitee saß entweder eine oder gar keine Frau, im Politbüro blieb es bei 0 Frauen. N-U-L-L ! Wow…[2]
Zwei sehr gegensätzliche Blicke eröffnen sich also, wenn man heute auf die DDR und die Rolle der Frauen schaut. Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die Kita Infrastruktur, legale Abtreibung, Frauen in vielen technischen Berufen auf der einen Seite, fehlende Repräsentanz, Mehrfachbelastung, und bürgerliche Rollenbilder (Hausarbeitstag), auf der anderen Seite. Ein Widerspruch, der auch dazu führte, dass viele Frauen sich in der Bürgerbewegung, für eine Reform der DDR engagierten, aber eben auch meist mit dem Wunsch bestimmte Errungenschaften zu bewahren. Der Konflikt, der sich beim Widervereinigungsprozess daraus ergab, ging auch durch viele dieser Frauengruppen.
70% der nach der Wende entlassenen Ostdeutschen waren Frauen[3]. Sie wurden ins Private zurückgedrängt. Auch das darf nicht vergessen werden. Wurden ihnen erst die eine Rolle als absolutes Ideal präsentiert, sollten sie sich jetzt den Westdeutschen Vorstellungen anpassen. Bei der Wiedervereinigung gehörten nur wenige Frauen zu den Verantwortlichen. Die Frauen aus den Bürgerbewegungen waren es nicht. Der Frust, dass über ihre Wünsche und Einbringungen, unter anderem an Runden Tischen hinweggegangen wurde, hallt bis heute nach.
Wenn ÜBER Frauen entscheiden wird, also der Staat (weil von Männern mehrheitlich regiert) ihnen ihre Rolle in der Gesellschaft zuschreibt, kann es nie ein emanzipatorischer Staat sein. Es ist ein staatlich institutionalisiertes Patriarchat. Genau deshalb kämpfen wir heute für Parität, für Empowerment von (jungen) Frauen, für sexuelle Selbstbestimmung und das Recht Lebensentwürfe, ob konservativ oder progressiv, selbst wählen zu können. Wir haben verstanden: Ohne Frauen ist kein Staat zu machen!
[1] Vgl. Rede Walter Ulbricht, 1968 „Frauen, die Miterbauerinnen des Sozialismus“
[2] Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Sozialistische_Einheitspartei_Deutschlands#Politb%C3%BCro_des_Zentralkomitees
[3] Hg. Frigga Haug, „Nachrichten aus dem Patriarchat“, Argument Verlag, Hamburg 2005
Text: Claudia Sprengel
Fotos: private Bilder von Frauen aus der Lila Offensive die auch im Archiv der Robert-Havemann-Gesellschaft zu finden sind.
Dieser Beitrag erscheint in der Reihe „Zurück in die Zukunft“ anlässlich zur 30. Brandenburgischen Frauenwoche 2020. Die letzten 30 Jahre sind geprägt von Wendepunkten in den Biografien aller Brandenburgerinnen. Mit dem Motto wollen wir nicht nur erinnern – mit unseren Erfahrungen richten wir den Fokus in die Zukunft: Wie soll die Gesellschaft aussehen, in der wir leben wollen? Wöchentlich erscheint ein Beitrag, wenn auch Du oder Sie was schreiben wollen, freuen wir uns über Zusendungen!