Titelverteidigerin – Das Bundestagswahlprogramm der CDU/CSU
Die CDU und die CSU sind Schwesterparteien, die bei den Bundestagswahlen gemeinsam antreten und im Bundestag eine gemeinsame Fraktion stellen. Sie sitzen seit 1949 im Bundestag und hatten in der deutschen Geschichte bisher am längsten die Regierungsverantwortung inne. Seit 2005 regiert die CDU/CSU mit Angela Merkel als Kanzlerin, zunächst in großer Koalition mit der SPD, dann vier Jahre mit der FDP und aktuell wieder mit der SPD.
Angela Merkel führt auch dieses Jahr die Partei als Spitzenkandidatin in den Wahlkampf. Sollte sie erneut Kanzlerin werden, würde sie die 16 Jahre vollmachen und mit Helmut Kohl gleichziehen, der bisher den Rekord für die längste Kanzlerschaft hält.
Die Landesliste in Brandenburg hat 13 Plätze, vier davon sind mit Frauen besetzt. Die ersten zehn Personen auf der Liste kandidieren auch jeweils direkt in einem Brandenburger Wahlkreis.
Das Bundestagswahlprogramm trägt den Titel „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben. Regierungsprogramm 2017 – 2021“. Es verwendet fast ausschließlich die männliche Form. Frauen sollen sich wahrscheinlich einfach mitgemeint fühlen. Damit ich ein bisschen Platz spare, werde ich in diesem Artikel ab sofort nur von der CDU sprechen. Die CSU ist natürlich mitgemeint.
Die gute Nachricht zuerst: Das Programm ist wirklich schön geschrieben. Das Inhaltsverzeichnis ist ausführlich und hilfreich, die Schriftgröße ist angenehm groß, es werden oft Inhalte in Stichpunktform dargestellt und stilistisch und sprachlich ist es wirklich ein gelungenes, rundes Werk.
Bei einer Regierungspartei gehört neben dem Ausblick auf die kommende Legislaturperiode auch immer eine Bilanz über das bisher Erreichte dazu. Beim Lesen der Einleitung wird einem regelrecht warm ums Herz. Nach den Schreckensszenarien der AfD und der kämpferischen Prosa der Oppositionsparteien, lädt uns die CDU in ein Land ein, in dem eigentlich alles in Ordnung ist.
Die Wirtschaft wächst, Löhne und Renten steigen und die Rechtsstaatlichkeit funktioniert. (S. 4) „[S]eit der Übernahme der Regierungsverantwortung durch Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Union […] geht die Entwicklung unseres Landes in die richtige Richtung.“ (S. 4f) Darum soll alles schön so bleiben wie es ist. „Es ist Deutschlands Aufgabe, ein Stabilitätsanker in der Welt zu sein.“ (S. 5)
Die CDU sagt, dass sie sich von anderen Parteien unterscheidet, weil sie nur verspricht, was sie auch halten kann. „Wer allen alles verspricht, wird am Ende die meisten enttäuschen.“ (S. 8) Sie ist selbstbewusst davon überzeugt, dass sie von Wirtschaft, Wachstum und Arbeitsplätzen mehr versteht als alle anderen. Trotz aller Konkurrenz wollen sie aber durchaus ein partnerschaftliches Verhältnis. „Es hat sich bewährt, dass die demokratischen Parteien in großen und existenziellen Fragen immer wieder zu parteiübergreifender Gemeinsamkeit gefunden haben.“ (S. 9)
Vollbeschäftigung
Das Programm brüstet sich zunächst einmal mit der Leistung, die Arbeitslosenzahlen halbiert zu haben, seit die CDU 2005 das Ruder übernahm. Die veränderten Zahlen sind allerdings mindestens zum Teil auf die Agenda 2010 zurückzuführen, die noch von der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder umgesetzt wurde. Die CDU ist aber auch noch nicht fertig. „Wir wollen bis spätestens 2025 Vollbeschäftigung für ganz Deutschland. […] Dafür haben wir ein klares Konzept.“ (S. 10)
Damit Arbeitsplätze besetzt und neue geschaffen werden können, soll es unter anderem ein „Fachkräfte-Zuwanderungsgesetz“ geben, in dem bestehende Regelungen zusammengefasst und vereinfacht werden. Einwanderung soll nur mit Nachweis eines Arbeitsplatzes möglich sein, damit unsere sozialen Sicherheitssysteme nicht greifen müssen. „Mit einer klug gesteuerten und begrenzten Einwanderungspolitik für Fachkräfte unterstützen wir die Schaffung von Arbeitsplätzen in Deutschland und verringern spürbar die Attraktivität von illegaler Einwanderung und Migration.“ (S. 12) Ich weiß nicht, ob der Satz so stimmt.
Langzeitarbeitslose sollen unterstützt werden, indem sie die Möglichkeit bekommen, „sinnvolle und gesellschaftlich wertige Tätigkeiten auszuüben“ (S. 12). Das ist der soziale Arbeitsmarkt, den die Linke mit vielen und die SPD mit wenig Worten vorgeschlagen hat. Bei der CDU ist die Idee um noch eine weitere Stufe abgeschwächt.
Seit dem letzten Wahlkampf hat sich die CDU mit dem Mindestlohn angefreundet. Das Modell habe sich grundsätzlich bewährt, es soll aber noch Bürokratie in dem Bereich abgebaut werden. (S. 12) „Geringfügig Beschäftigte sollen an der allgemeinen Lohnsteigerung teilhaben. Wir realisieren den mitwachsenden Minijob.“ (S. 12) Was bedeutet das genau? Könnte ich dazu vielleicht ein paar Zahlen haben?
Die Partei möchte, dass Männer und Frauen gleiches Geld für gleiche Arbeit bekommen. Um das zu erreichen soll die Wirkung des Entgeldtransparenz-Gesetzes überprüft werden und „gegebenenfalls in enger Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern weitere Schritte“ (S. 13) unternommen werden. „Mit der Einführung der Frauenquote in Aufsichtsräten haben wir erste Erfolge erzielt, wissen aber auch, dass weitere Anstrengungen notwendig sind. Wir wollen im öffentlichen Dienst bis spätestens 2025 eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in Leitungsfunktionen auf allen Ebenen verwirklichen.“ (S. 14) Wie denn?
Junge Menschen sollen mehr als bisher ermuntert werden, sich selbstständig zu machen. Dazu braucht es eine neue Gründerkultur. Die CDU möchte dafür bis 2019 einen „Masterplan Selbstständigkeit“ erarbeiten. Die Bedingungen für Wagniskapital sollen verbessert werden. „Wer sich an Start-ups beteiligt, soll das bei der Steuer berücksichtigen können.“ (S. 14)
Landwirtschaft und Bürokratie
Landwirtschaft wird in Wahlprogrammen meistens irgendwo in den hinteren Kapiteln abgehandelt. Nicht so bei der CDU. Es wird nicht nur früh sondern auch ausführlich behandelt, denn „CDU und CSU sind seit jeher die Partei der Land- und Forstwirtschaft“ (S. 15).
Die Partei bekennt sich zur gemeinsamen Agrarpolitik der EU und zur Fortführung der Direktzahlungen nach 2020. Bürokratie soll abgebaut werden und ein Innovationsfonds soll den technischen, biologischen und digitalen Fortschritt in der Landwirtschaft fördern. (S. 16)
Tier- und Artenschutz sind wichtig. „Um Fehlsteuerungen zu verhindern, soll der Schutzstatus von Tieren und Pflanzen allerdings im Lichte der Populationsentwicklung regelmäßig überprüft und gegebenenfalls angepasst werden.“ (S. 16f)
Der Flächenverbrauch soll eingedämmt werden. Die vorgeschlagene Methode scheint aber nicht unbedingt dafür geeignet. „Dabei wollen wir, dass der Eingriff in die Natur, wo immer angemessen, nicht durch zusätzliche Flächenstilllegung, sondern finanziell kompensiert wird. Mit den so erzielten Einnahmen sollen berechtigte ökologische Anliegen auf andere Weise gefördert werden.“ (S. 17)
Die CDU möchte ein digitales Bürgerportal und ein elektronisches Bürgerkonto einführen, über die man praktisch alle Verwaltungsdienstleistungen online erledigen kann. „Das spart Zeit und Geld und ermöglicht zusätzliche Wertschöpfung.“ (S. 18)
Insgesamt soll die Bürokratiekultur eingedämmt werden. So soll bei neuen Gesetzen möglichst auf Kontrolle und Regulierung verzichtet werden, bis eine Notwendigkeit dafür nachgewiesen ist. „Der Erfolg einer Regierung bemisst sich nicht nach der Zahl der verabschiedeten Gesetze. Deshalb streben wir an, die Zahl neuer Gesetzentwürfe in der kommenden Wahlperiode um mindestens 10 Prozent zu reduzieren.“ (S. 18) Was? Ich weiß nicht, ob man so quantitativ an den Gesetzgebungsprozess herangehen sollte. Mir wäre ein Fokus auf Qualität da lieber.
Gezielte Maßnahmen
Ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen lehnt die CDU ab. Und dann folgt dieses unkonkrete Statement: „Mit gezielten Maßnahmen, die aufgrund der örtlichen Gegebenheiten erforderlich sind, wollen wir die Zahl der schweren Unfälle und Verkehrstoten reduzieren. Sicherheit im Verkehr ist für uns von großer Bedeutung.“ (S. 19) Gut zu wissen.
Auch abseits der Straße soll Mobilität zugänglich gemacht werden. Die Partei möchte ein deutschlandweit einheitliches digitales Ticket für den Öffentlichen Personennahverkehr. Dafür sollen die Verkehrsverbünde vernetzt werden, sodass man mit Hilfe einer App in ganz Deutschland in die Straßenbahn steigen kann. (S. 20) Die CDU setzt einen Investitionsschwerpunkt bei der Modernisierung der Schieneninfrastruktur und Barrierefreiheit in Bahnhöfen. „Wir wollen außerdem allen Bürgern und Bürgerinnen hindernisfreie Mobilität ermöglichen.“ (S. 20)
An manchen Stellen des Programms klopft sich die Partei so sehr für bisher Erreichtes auf die Schulter, dass es dem Gaslighting nahe kommt. Zum Atomausstieg, der 2011 beschlossen wurde, heißt es, dass er gut und richtig war. „Wir haben damit eine jahrzehntelange Debatte zu einem versöhnlichen Abschluss gebracht und werden den Ausstieg wie vorgesehen bis 2023 abgeschlossen haben.“ (S. 21). Der Ausstieg kam aber erst, nachdem die schwarz-gelbe Regierung 2010 noch eine Verlängerung der Laufzeiten beschlossen hatte, nur um nach der Katastrophe von Fukushima abrupt die Richtung zu wechseln. Ich will hier nicht das Endergebnis madig machen, aber von langer Hand geplant war das nicht gerade.
Formen des Zusammenlebens
Familien und Kinder sind der CDU sehr wichtig. „Wir schreiben Familien kein bestimmtes Familienmodell vor. Wir respektieren die unterschiedlichen Formen des Zusammenlebens.“ (S. 24) Diese Aussage stimmt nachweislich nicht. Wer das nicht glaubt, kann sich ja mal das Abstimmungsverhalten der Unionsparteien bei der jüngsten Abstimmung zur Ehe für alle anschauen.
Ehe und Familie stehen laut Grundgesetz unter dem besonderen Schutz des Staates. Die CDU möchte nun auch Kinderrechte in das Grundgesetz aufnehmen. (S. 24f)
Es soll ein Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter eingeführt werden und die CDU möchte mehr Anreize für ein Engagement der Unternehmen in der Kinderbetreuung schaffen. „Die Steuerbefreiung für Zuschüsse der Arbeitgeber für Betreuungskosten werden wir bis zum Ende der Grundschule ausweiten.“ (S. 25)
Zur Verbesserung der Situation in Kitas wird gesagt, dass es dabei auf Ausstattung und ausreichend gut ausgebildetes Personal ankommt. (S. 25) Es wird kein Wort darüber verloren, wie man das erreichen möchte.
Um Familien finanziell zu entlasten, soll der Kinderfreibetrag in zwei Schritten auf des Niveau des Erwachsenenfreibetrags angehoben und das Kindergeld entsprechend erhöht werden. Im ersten Schritt soll das Kindergeld um 25 Euro erhöht werden. „Den zweiten Schritt werden wir abhängig von der wirtschaftlichen Lage verwirklichen, aber spätestens in der darauffolgenden Legislaturperiode.“ (S. 25) Bis dahin wären wir dann bei 20 Jahren CDU-Regierung am Stück.
Familie und Beruf lassen sich nicht immer gut miteinander vereinbaren und befördern vor allem Frauen oft in die Teilzeitfalle. Die CDU möchte in Betrieben ab einer bestimmten Größe einen Anspruch auf befristete Teilzeit, also das Rückkehrrecht zu Vollzeit, einführen. (S. 26) „Wir werden sicherstellen, dass alleinerziehende Mütter und Väter, die nach der Geburt ihrer Kinder auf Berufstätigkeit verzichtet haben, eine regelmäßige Beratung über Möglichkeiten zur beruflichen Wiedereingliederung erhalten.“ (S. 26)
Mehr junge Familien sollen sich Wohneigentum leisten können. Um das zu unterstützen, möchte die CDU ein Baukindergeld einführen. Für jedes Kind soll es 1.200 Euro pro Jahr für einen Zeitraum von zehn Jahren geben. Dieser Anspruch würde für alle Kaufverträge oder Baugenehmigungen nach dem 1. Juli 2017 gelten. (S. 26)
Insgesamt sieht die CDU ein kulturelles Defizit in unserem Land bei der Anerkennung und Wertschätzung von Menschen mit Kindern. „Die Teilnahme und Teilhabe bei öffentlichen und gesellschaftlichen Veranstaltungen muss problemloser als bisher möglich sein. […] Wir wollen mehr als bisher Vorfahrt für Familien und Kinder in Behörden und Einrichtungen, beispielsweise an Flughäfen, Fahrkartenschaltern und Museen.“ (S. 27)
Wir sind so reich
„Wir wollen, dass die Arbeit stärker als bisher zu den Menschen kommt. Dies gilt insbesondere auch für ländliche Regionen in den neuen Bundesländern.“ (S. 28) Wollen kann man vieles, es ist nur die Frage, was man kriegt. „CDU und CSU sorgen für superschnelles Internet in allen Regionen.“ (S. 28)
Die Städte und Gemeinden sollen ebenso unterstützt werden. Es gibt bereits einen Fonds in Höhe von 7 Milliarden Euro, der Kommunen bei der Instandsetzung von Schulen unterstützt, trotz Kooperationsverbot, welches in diesem Programm übrigens nicht erwähnt wird. „Wir wissen, dass mehr Unterstützung notwendig ist, um die Probleme zu lösen.“ (S. 29) Und mit diesem Satz endet der Absatz und das Thema. Unglaublich.
Das Kapitel zum Thema Wohlstand beginnt mit einer ganzen Seite Selbstbeweihräucherung. Deutschland ist so reich, und baut so erfolgreich Schulden ab, dass wir gar nicht aufhören können, uns zu loben. „Um diesen Erfolg beneiden uns viele.“ (S. 31) Das dieser Zustand als etwas positives dargestellt wird, lässt tief in den Charakter der Partei blicken.
Nicht nur der Bund, auch die Länder sind auf dem besten Weg. „Vorbildlich wirtschaftende Bundesländer wie Bayern werden ab 2030 sogar schuldenfrei sein.“ (S. 31) Klassenbester.
Die CDU verspricht, auch in den kommenden vier Jahren die Schuldenbremse einzuhalten und im Bundeshaushalt keine weiteren Schulden aufzunehmen. (S. 32) Der Solidaritätszuschlag soll für alle ab dem Jahr 2020 schrittweise abgeschafft werden. „Für die kommende Wahlperiode beginnen wir mit einer Entlastung von rund 4 Milliarden Euro.“ (S. 33) Da steht jetzt zwar mal eine Zahl, aber die sagt nichts aus. Auf wieviele Schultern verteilen sich die vier Milliarden? Welche Einkommensgruppe wird als erstes und in welcher Höhe entlastet?
„Die Gute wirtschaftliche Lage macht es möglich, die Einkommenssteuer um gut 15 Milliarden Euro zu senken. Diese Entlastung soll in erster Linie der Mitte unserer Gesellschaft, also Familien mit Kindern, Arbeitnehmern, Handwerk und Mittelstand zugutekommen.“ (S. 33) Genau wie die SPD möchte die CDU, dass der Spitzensteuersatz erst bei einem steuerpflichtigen Jahreseinkommen von 60.000 Euro greift. Es soll gemeinsam mit anderen EU-Staaten eine Finanztransaktionssteuer eingeführt werden. (S. 33) Die Erbschaftssteuer soll nicht verschlechtert und die Vermögenssteuer auf keinen Fall wieder eingeführt werden. (S. 34)
Alle sollen Wohnraum und möglichst auch Wohneigentum haben können. „Wohnungsbau ist der beste Mietschutz und das beste Mittel gegen ausufernde Mietpreise. Wir setzen dabei nicht auf überbordende Regulierung, sondern auf Belebung des öffentlichen und privaten Wohnungsbaus.“ (S. 37) Der Neubau von Mietwohnungen soll steuerlich gefördert werden. Dafür will die CDU die degressive Absetzung für Abnutzung für einen begrenzten Zeitraum wieder einführen. (S. 37)
Der verbilligte Verkauf von Grundstücken des Bundes an Städte und Gemeinden soll erleichtert werden. Hier ringt sich die CDU zu einem schweren Schritt durch. „Aus übergeordneten gesellschaftlichen Gründen weichen wir in diesen Fällen vom Wirtschaftlichkeitsprinzip ab.“ (S. 38)
Pflegenotstand? Welcher Pflegenotstand?
Die Freiheit der Praxis- und Krankenhauswahl und die Konkurrenz unter den Krankenkassen werden als guter Garant für Qualität und Wirtschaftlichkeit der Versorgung gesehen. Daher lehnt die CDU auch die von Linken, SPD und Grünen geforderte Bürger*innenversicherung ab. (S. 38)
„Die vergangen Regierungsjahre waren gute Jahre für Gesundheit und Pflege: Nach einer großen Zahl von Gesundheitsreformen in der Vergangenheit ist unser Gesundheitssystem nunmehr schon seit rund zehn Jahren stabil und leistungsfähig.“ (S. 39) Pflegenotstand? Welcher Pflegenotstand? Just in diesem Moment streiken Mitarbeitende der Charité. Die würden bei diesem Satz im Programm sicher große Augen machen.
Die CDU sieht die Renten in einem guten Zustand. Die Rentenreform der Großen Koalition von 2007 „hat die Weichen für die Entwicklung des Renteneintrittsalter bis 67, des Rentenniveaus und Rentenbeiträge bis zum Jahr 2030 umfassend und erfolgreich gestellt“ (S. 41f). Für die Weiterentwicklung darüber hinaus soll eine Rentenkommission eingesetzt werden, die bis Ende 2019 Vorschläge erarbeiten soll. (S. 43)
Ein eigener kurzer Unterpunkt widmet sich der Frauenpolitik. Hier werden kurz drei Themen aus anderen Kapiteln wiederholt und dann steht da dieser Satz: „Wir haben die sexuelle Selbstbestimmung gestärkt und den Schutz von Frauen und Minderjährigen vor Gewalt verbessert.“ (S. 44) Aha.
Jenseits ökonomischer Verwertbarkeit
„Kultur schafft Werte auch jenseits der Maßstäbe ökonomischer Verwertbarkeit.“ (S. 44) In der Erinnerungskultur sieht die CDU die Auseinandersetzung mit den Folgen von Gewaltherrschaft und Diktatur, insbesondere des Nationalsozialismus, als immerwährende Aufgabe. „Die Aufarbeitung der NS- Diktatur und ihrer Verbrechen muss fortgesetzt werden. Die Erinnerung an erlittenes Unrecht wollen wir nicht nur aus Respekt gegenüber den Opfern und ihren Angehörigen wach halten, sondern auch, weil es zum historischen Gedächtnis unseres Landes gehört.“ (S. 45)
Ansonsten ist Deutschland ein Land der kulturellen Superlative. „Deutschland ist das Land mit der höchsten Dichte an Theatern, Opern, Orchestern, Museen, Literaturhäusern und Festivals weltweit. Nirgendwo werden mehr Bücher geschrieben und gelesen als bei uns.“ (S. 46) Kann das stimmen? Bei veröffentlichten Bücher stimmt das weder in absoluten Zahlen (da liegen China, USA und Großbritannien vorne), noch pro Kopf (hier tun sich der Vatikan und Island besonders hervor).
Die CDU möchte die Umweltbelastung durch Mobilität in den Städten schnell reduzieren und spätestens 2020 wieder die europäischen Normen einhalten. (S. 46) Generelle Fahrverbote für bestimmte Fahrzeugtypen werden abgelehnt. Bis sich die Elektromobilität durchgesetzt hat, bleiben moderne Dieselfahrzeuge eine wichtige Option. Für Elektrofahrzeuge sollen in ganz Deutschland 50.000 Ladesäulen errichtet werden. (S. 47) Die Stadtverwaltung Potsdam nimmt übrigens gerade Vorschläge für mögliche Standorte von Ladesäulen an. Wer eine gute Idee hat, klicke bitte hier.
Die CDU möchte im Bundeskanzleramt die Position eines „Staatsministers für Digitalpolitik“ und einen Kabinettsausschuss für Digitalpolitik schaffen. (S. 49) Ein neuer „Nationaler Digitalrat“ mit Mitgliedern aus Politik und Gesellschaft soll die klügsten Köpfe in den Dienst der digitalen Umgestaltung der Welt stellen.
Bis 2018 soll die Breitbandversorgung flächendeckend ausgebaut werden, bis 2025 mit Glasfaser. Das Geld dafür soll zum Teil aus der Vergabe der Mobilfunkfrequenzen für 5G stammen. (S. 49f)
„Auch im Zeitalter der Digitalisierung bleibt aber das Bargeld ein wichtiges Zahlungsmittel.“ (S. 53) Da haben wir es. Alle sechs betrachteten Parteien sprechen sich für das Bargeld aus. Ich weiß immer noch nicht, wer auf der Gegenseite argumentiert.
Friedensprojekt mit Außengrenzen
Wir leben in unsicheren Zeiten für Europa und die Welt. „Selbst in unserer Nachbarschaft ist die territoriale Integrität der Ukraine durch die russische Aggression in Frage gestellt. Auch die neue amerikanische Administration hat ihre Haltung zu vielen außenpolitischen Fragen noch nicht festgelegt.“ (S. 55) Umso wichtiger ist das Friedensprojekt Europa.
Die CDU unterstützt den Vorschlag für eine europäische Verteidigungsunion und einen gemeinsamen Verteidigungsfonds. „Wir sind überzeugte Mitglieder der NATO und arbeiten für ihren Erfolg. Aber die EU muss sich selbstständig wappnen, wenn sie dauerhaft bestehen will.“ (S. 56)
Der erste Schritt dabei ist für die CDU die Sicherung der Außengrenzen vor illegaler Migration. Frontex soll gestärkt werden und bis die Außengrenzen sicher geschützt sind, soll es weiter Binnengrenzkontrollen geben. (S. 56)
Das umstrittene Türkei-Abkommen möchte die CDU auch in ähnlicher Form mit nordafrikanischen Staaten schließen. „Wir müssen verhindern, dass tausende Flüchtlinge von gewissenlosen Schleppern durch halb Afrika geschleust werden, um dann auf dem Mittelmeer elend zu ertrinken.“ (S. 56) Es soll ein europäisches Ein- und Ausreiseregister für Drittstaatsangehörige geben. Mir schaudert.
Die Gefahren für Europa lauern aber nicht nur vor den Grenzen. Ökonomische Probleme und Ungerechtigkeiten bergen genauso viel Sprengstoff. „Wir sind bereit, bei der Überwindung der Probleme gerade beim Abbau der hohen Jugendarbeitslosigkeit solidarisch zu helfen, denn wir wollen den Erfolg der gesamten EU. Dieser ist nur möglich, wenn gemeinsam vereinbarte Regeln wie der Stabilitätspakt eingehalten werden.“ (S. 57)
Der Absatz zu den Beziehungen zwischen EU und Türkei ist überraschend. So ziemlich jede andere Partei sieht die Entwicklung der Türkei hin zur Diktatur ausgesprochen kritisch. Bei der CDU herrscht jedoch weiter eine Atmosphäre der freundlichen Kooperation. Eine Vollmitgliedschaft in der EU wird zwar noch abgelehnt, aber das war es auch schon. „Wir möchten daher die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Türkei weiter vertiefen. Eine enge und besondere Zusammenarbeit dient sowohl den Menschen in Europa als auch in der Türkei.“ (S. 58) Hier hilft es auch nicht, dass einen Absatz später in einem Nachsatz die große Sorge erwähnt wird, mit der „die jüngsten Entwicklungen in der Türkei im Hinblick auf Rechtsstaatlichkeit, insbesondere Meinungs- und Pressefreiheit“ (S. 58) gesehen werden. Den inhaftierten Journalistinnen und Journalisten, manche davon mit deutscher Staatsangehörigkeit, hilft das wenig.
Die CDU ist die Partei der Inneren Sicherheit. „CDU und CSU haben in dieser Bundesregierung hart gekämpft, um Rechtsänderungen durchzusetzen, die teilweise seit Jahren überfällig waren. Ohne unser hartnäckiges Insistieren, ohne unsere Ausdauer wäre manches nicht gelungen oder noch später gekommen.“ (S. 60) Das Underdog-Gehabe passt nicht zu einer Partei, die seit 12 Jahren an der Macht ist.
Die CDU möchte bei besonderer Gefahr die Bundeswehr im Inneren einsetzen. Sie will 15.000 zusätzliche Stellen bei der Polizei schaffen, den Einsatz intelligenter Videotechnik zu Fahndungszwecken verstärken und eine Mindestspeicherfrist für die Daten einführen. (S. 61)
„Wir wollen die Schleierfahndung in ganz Deutschland ermöglichen, denn Straftäter dürfen nicht darauf vertrauen können, dass es fahndungsfrei Zonen gibt.“ (S. 62) Darf ich als Bürgerin darauf vertrauen, dass meine Person nicht ohne begründeten Verdacht durchsucht werden kann?
Die Welt zu Gast bei Freunden
Der Umgang mit Geflüchteten wurde innerhalb der Unionsparteien hart diskutiert. Besonders Frau Merkel und der CSU-Chef Horst Seehofer gerieten hier aneinander. Dafür ist der Abschnitt zu Flucht im Programm überraschend kurz. Es soll verhindert werden, dass noch mehr Menschen im Mittelmeer ertrinken. Die Lösung für dieses Problem liegt für die CDU nicht etwa in der Schaffung legaler Einreisemöglichkeiten für Asylbewerberinnen und -bewerber. „Wir werden die menschenverachtenden Aktivitäten der Schleuser energisch bekämpfen und Möglichkeiten schaffen, dass Migranten ohne Schutzanspruch von der Überfahrt nach Europa abgehalten werden.“ (S. 62f)
„Eine Situation wie im Jahre 2015 soll und darf sich nicht wiederholen, da alle Beteiligten aus dieser Situation gelernt haben. Wir wollen, dass die Zahl der Flüchtlinge, die zu uns kommen, dauerhaft niedrig bleibt. Das macht es uns möglich, dass wir unseren humanitären Verpflichtungen durch Resettlement und Relocation nachkommen.“ (S. 63)
Die Verteidigungsausgaben sollen bis 2024 schrittweise auf 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöht werden und die CDU möchte bis dahin 18.000 zusätzliche Bundeswehrangehörige. (S. 65)
Es wird ein „Marshall-Plan mit Afrika“ (S. 67) vorgeschlagen, der gemeinsam mit der Afrikanischen Union eine neue mittelständische Kultur der Selbstständigkeit auf dem Kontinent erreicht. „Dabei sollen vor allem auch private Investitionen mobilisiert werden.“ (S. 67) Die entfesselten Marktinteressen der privaten Weltwirtschaft haben dem afrikanischen Kontinent in der Vergangenheit größtenteils nicht so gut getan.
Die CDU bekennt sich zum Pariser Klimaschutzabkommen und bedauert das Ausscheiden der USA. Langfristig soll ein großer Teil der fossilen Energien durch umweltfreundliche Energien ersetzt werden. (S. 68) „Wir lehnen dirigistische staatliche Eingriffe in diesem Bereich ab und setzen stattdessen auf marktwirtschaftliche Instrumente. Damit das Klima Zukunft hat.“ (S. 69)
Wer sind wir eigentlich
Relativ weit hinten kommt ein Kapitel mit dem Titel „Was unser Land zusammenhält“ (S. 69). Es unternimmt den Versuch, zu definieren, worauf wir uns als Deutsche einigen können. Der Begriff „Leitkultur“, der in diesem Programm verwendet wird, ist im allgemeinen Diskurs schon so verbrannt, dass er schlecht als Diskussionsgrundlage dienen kann. Die Frage, ob es überhaupt eine gemeinsame Wertegrundlage gibt, und wenn ja, wie diese aussieht, ist trotzdem interessant.
„In Deutschland darf kein Platz für Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Ausländerhass, Intoleranz oder Diskriminierung sein.“ (S. 70) Für manche mag das wie ein Lippenbekenntnis der CDU klingen. In Zeiten von neuen rechtsextremen und menschenverachtenden Parteien bin ich aber doch dankbar, dass das hier mal so hingeschrieben wurde.
Die CDU erwartet von allen Menschen in Deutschland, egal welcher Herkunft, dass das Grundgesetz und die demokratische Grundordnung geachtet wird, das Existenzrecht Israels anerkannt, und der innere Frieden gewahrt wird. „Zu unserem Land gehören alte und neue Deutsche, Menschen mit und ohne deutschen Pass, mit und ohne Migrationshintergrund. Die große Mehrheit ebenso wie ethnische und gesellschaftliche Minderheiten. Wir schließen niemanden aus und bitten alle, an einer guten Zukunft Deutschlands mitzuwirken.“ (S. 70)
Die deutsche Sprache wird als wichtiger Teil der kulturellen Identität hervorgehoben. „Weil wir ein weltoffenes Land mit starker internationaler Verflechtung sind, wollen wir umgekehrt auch das Erlernen von Fremdsprachen stärker unterstützen.“ (S. 71) Sechs weitere Eckpfeiler der deutschen Kultur werden von der CDU benannt: Die Gleichberechtigung von Mann und Frau, Vertrautheit mit unserer Geschichte, unsere verschiedenen Dialekte, Traditionen und Gebräuche, eine regionale Medienlandschaft, ehrenamtliches Engagement und unsere Arbeits- und Verantwortungskultur. (S. 71f) Es ist eine interessante Skizze für ein Land, dass mehr als viele andere Länder ins Schwimmen kommt, wenn es erklären soll, was uns denn nun im Kern ausmacht.
Eine Sache die die CDU ausmacht ist Religion. Sie sieht Religionsfreiheit als eines des wichtigsten Grundrechte. „Staat und Religion sind aus guten Gründen getrennt. Religiöser Glaube, Kirchen und Religionsgemeinschaften haben aber ihren festen Platz in unserer Gesellschaft.“ (S. 72)
Die Religionsfreiheit gilt für alle. Christen, Juden, Muslime, Hindus, Sikhs, Buddhisten und Bahais werden beispielhaft im Programm aufgezählt. „Die in Deutschland lebenden Muslime tragen mit ihren Ideen und ihrer Arbeit seit langem zum Erfolg unseres Landes bei und gehören deshalb zu unserer Gesellschaft.“ (S. 73) Die CDU möchte dabei helfen, dass sich der Islam in Deutschland so organisieren kann, dass er Verhandlungs- und Dialogpartner von Staat und Gesellschaft sein kann. „Den Missbrauch des Islam für Hass, Gewalt, Terrorismus und Unterdrückung lehnen wir gemeinsam mit allen friedlichen Muslimen ab und akzeptieren ihn nicht.“ (S. 74)
Nach solch versöhnlichen Worten bekräftigt die CDU kurz vor Schluss doch noch einmal ihre eher harte Linie. Damit Integration von Zugewanderten gelingt verfolgt die Partei den Ansatz des Forderns und Förderns. „Dazu streben wir den Abschluss von verbindlichen Integrationsvereinbarungen an.“ (S. 74) Die dauerhafte doppelte Staatsbürgerschaft muss immer die Ausnahme bleiben.
Das Programm endet nach 75 flotten Seiten mit einem Wahlaufruf. So schön es geschrieben ist, es steht leider nicht viel drin. Es geht viel auf die Vergangenheit ein, wobei hier häufig ein sehr wohlwollender Weichzeichner angesetzt wird. Bei zukünftigen Vorhaben bleibt es noch ungefährer als das Programm der SPD. Geheim sind die Pläne und Grundeinstellungen der CDU und CSU trotzdem nicht. Ihre Entscheidungen in Regierungsverantwortung in den letzten 12 Jahren zeichnen ein eindeutiges Bild. Wer Hilfe bei der Wahlentscheidung braucht, sollte vielleicht lieber dort nachschauen, als in diesem Programm.
Ich bitte nun ein letztes Mal zur Bewertung. Mit der A-Note werden die Inhalte der Partei bewertet. Die B-Note ist für den Stil. Die Skala geht von null bis zur Bestnote neun.
Bis dann denn,
Laura
———————————————————————
FRAUEN STIMMEN GEWINNEN ist ein Projekt des Autonomen Frauenzentrums Potsdam in Kooperation mit dem Frauenpolitischen Rat des Landes Brandenburg. Die Texte sind verfasst von Laura Kapp. Jennifer Hoffmann betreibt die Social Media Accounts.
Das Projekt wird finanziell gefördert durch die Brandenburgische Landeszentrale für Politische Bildung (Vielen Dank!). Anmerkungen, Ideen, Feedback, Kritik und Komplimente sind herzlich willkommen: per e-mail unter frauenstimmen@frauenzentrum-potsdam.de, auf Twitter @frauenstimmen oder auf Facebook.