Soziale Arbeit in der Bildungseinrichtung Teil 2: „Ich würde gern Projekte führen wollen, aus denen sich neue Arbeitsplätze ergeben!“
Teil 2 des Interviews mit Marion Ben Rabah, Sozialarbeiterin bei der Bildungseinrichtung Buckow e.V. (Vergleichbare Einrichtung für berufliche Rehabilitation mit Sitz im Barnim und Uckermark).
Im ersten Teil des Interviews sprachen wir über das experimentierfreudige Projekt „Strohhalm“, dass sich erfolgreich an langzeiterwerbslose Jugendliche richtete und warum es nicht fortgeführt wurde. Inzwischen sind 10 Jahre vergangen…
Marion, haben sich deine Arbeit und ihre Rahmenbedingungen in den vergangenen Jahren verändert?
Ja natürlich hat sich die Arbeit verändert… Ich habe gelernt, dass nur „die Veränderung“ das Element ist, mit dem SICHER zu rechnen ist – dass sich „Gewohntes“ und „Bewährtes“ nicht übertragen lässt, sondern die Veränderung bewirkt, dass es immer wieder darum geht, NEU zu beginnen und NEU zu denken. Verändert haben sich vor allem die arbeitslosen Menschen, bzw. die „Zielgruppen“ und auch die Rahmenbedingungen. Es gibt viel weniger finanzielle Mittel für „Projektexperimente“ und es gibt einen höheren „Erfolgsdruck“ der Behörden, die das Geld zur Verfügung stellen (Jobcenter, ESF-Projekte).
Welche Auswirkungen hat es auf deine Arbeit, wenn gleichzeitig weniger Mittel und einen höheren Erfolgsdruck gibt? Wie wird der konkret für euch – an der Basis – spürbar?
Wir spüren als Arbeitsfördergesellschaften, dass wir nicht WIRKLICH wichtig sind und die Wirtschaft die entscheidende Rolle spielt. Auch viele Langzeitarbeitslose wollen sich den Anforderungen nicht stellen und sind dann NICHT froh, wenn sie sich an Maßnahmen beteiligen sollen. Was wir fast IMMER erreicht haben war eine Ermunterung und Ermutigung des Menschen und wieder vorübergehende soziale Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Die Bürgerinnen und Bürger, die den Projekten zugewiesen werden, haben aber in der heutigen Zeit so viele multiple Vermittlungshemmnisse (physisch, psychisch, kognitiv), dass ein (meist kurzfristiges) Projekt nicht ausreicht, um nachhaltige Vermittlungserfolge zu erzielen.
Was genau meinst du mit „multiplen Vermittlungshemmnissen“? Kannst du da ein Beispiel nennen?
Ein Beispiel: Eine Frau mit „multiplen“ Vermittlungshemmnissen hat einen Förderschulabschluss, und eine Helferausbildung. Sie ist nicht verheiratet, lebt mit dem Vater ihrer drei Kinder zusammen. Sie hatte einen Unfall und seitdem Probleme mit dem Gleichgewicht. Sie kann keine Umschulung machen aufgrund ihres Bildungsabschlusses und aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation, sie hat auch keine Fahrerlaubnis (auch aus diesen Gründen). Unser gemeinsames Ziel war ihre Eingliederung in die Werkstatt für behinderte Menschen. Dies ist auch gelungen, sie blieb dort zwei Jahre auf Probe. Danach WOLLTE die Agentur für Arbeit prüfen, ob die Frau auch weiterhin dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung steht… Das war 2016, jedoch wurde bis heute keine ENTSCHEIDUNG gefällt…
Was genau folgen für Probleme für sie daraus, dass ihr Fall immer noch bearbeitet wird? Was wünscht sich die Frau? Wie könnte der Frau aus deiner Sicht geholfen werden?
Sie ist sehr verunsichert, weiß nicht, WAS sie falsch gemacht hat und WARUM sie nicht weitermachen darf. In diesem Fall „mahlen die Mühlen sehr langsam“. Immer wieder muss sie sich Gutachtern stellen und ihre gesundheitliche Verfassung überprüfen lassen. Sie hat mir vor kurzem erzählt, dass es ihr gesundheitlich schlechter ginge und sie sich auch mit ihrem Partner (auch langzeitarbeitslos) gar nicht mehr verstehen würde. Sie sagte, sie habe jetzt eine Betreuerin vom Amtsgericht und einen höheren Grad der Behinderung und sie werde weiter auf die Entscheidung der Agentur warten. Sie habe auch gehört, dass sie in der Werkstatt richtig vermisst würde und dass man sie dort brauchen könne.
Wie man ihr helfen kann? Ich z.B. lade sie zu Konzerten und Kaffeeklatsch ein. Sie ist ein wirklich herzensguter Mensch und es ist schwer zu sehen, dass sie immer die Hilfe anderer braucht, da sie allein viel zu schüchtern wäre, um ihre Rechte durchzusetzen. Sie bräuchte einen Arbeitsplatz, der ihren körperlichen Beschwerden Rechnung trägt und der SICHER ist. Deshalb hatten wir auch im Projekt die Idee mit der Werkstatt. Sie selbst wollte am Anfang gar nichts davon wissen. Aber je mehr Vertrauen wir aufgebaut haben und je mehr wir darüber gesprochen haben, desto mehr gefiel ihr der Gedanke, nicht ständig Bewerbungen schreiben zu müssen, die „sowieso“ abgelehnt werden.
Was bräuchte es deiner Meinung nach, damit soziale Teilhabe nicht nur vorübergehend durch die Projekte, sondern auch langfristig ermöglicht wird?
Das Beispiel der Frau zeigt meiner Meinung nach, dass wir den „sozialen, öffentlich geförderten Arbeitsmarkt“ benötigen. Wir benötigen aber auch die Wahlfreiheit der Menschen, sich für das entscheiden zu können, was sie wollen. Nur wenn ihnen die Arbeit Freude bereitet, „vergessen“ sie ihre „Vermittlungshemmnisse“. Ich habe das so, so oft erfahren. Eine Teilnehmerin hat mal gesagt: „Eigentlich müssten wir uns unsere Arbeitsplätze selbst erschaffen“. Genau dafür benötigen wir „Experimentiermöglichkeiten“, wie sie 2005 einmal geschaffen wurden.
Wenn du dir aussuchen könntest, welche Ziele du mit deiner Arbeit erreichen möchtest, welche Ziele wären das?
Ich würde noch einmal Projekte führen wollen, aus denen sich für die Bürgerinnen und Bürger neue Arbeitsplätze ergeben… Ja, sozusagen ein Projekt, aus dem NEUES entsteht. Diese Idee des „Aktiv-Passiv“-Transfers (das Geld, das die ALG II –Empfänger erhalten, wird als Finanzierung für Projekte benutzt und die Menschen arbeiten dann dafür – (oder so ähnlich) – oder die Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens könnten vielleicht erste Ansatzpunkte sein, um das zu erreichen.
Liebe Marion, vielen Dank für das Gespräch!
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Das Interview führt Sabine Carl (Netzwerk Care Revolution Potsdam) für die Reihe „Wir kümmern uns!“
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Der erste Teil erschien letzten Donnerstag hier
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