Sexarbeit ist Care-Arbeit: Interview mit einem Mitglied von Hydra e.V. (Teil2)
Liebe Daniela, danke, dass du dich für eine Fortsetzung unseres Interviews bereiterklärt hast. Der erste Blogbeitrag hat viele „Likes“ bekommen, unsere Leser*innen interessieren sich sehr für das Thema Sexarbeit. Beim letzten Mal sind wir bei der Frage stehen geblieben, warum es sinnvoll ist, Sexarbeit als Care-Arbeit zu beschreiben. Wo siehst du weitere Überschneidungen zu anderen Berufen wie zum Beispiel der Pflege, Erziehung oder Hausarbeit?
Wie schon beim letzten Mal erwähnt, sehe ich viele Überschneidungen, da es bei vielen Tätigkeiten im Care-Bereich um sehr intime Bedürfnisse von und Kontakte zu Menschen geht. Auch in der Sexarbeit sind Fähigkeiten wie Einfühlsamkeit, Empathie- und Kommunikationsfähigkeit zentral, um gut arbeiten zu können (siehe Fabiennes Ausführungen). Außerdem ist Sex, bzw. körperliche Nähe und Intimität auch eine Tätigkeit, die Frauen „aus Liebe“ und damit umsonst und „unsichtbar“ hinter verschlossenen Türen leisten sollen – wie z.B. auch die Pflege von Angehörigen. Sexarbeit als Arbeit anzuerkennen und um gute Arbeitsbedingungen und –bezahlung zu kämpfen, sind damit Thematiken, die auch in vielen anderen Bereichen der Care-Arbeit eine große Rolle spielen.
Die Care-Revolution verbindet all die verschiedenen Proteste um genau diese Unsichtbarkeit zu durchbrechen und sich zu vernetzen, aber auch voneinander zu lernen. Was sind die Probleme im Bereich der Prostitution?
Eines der zentralen Probleme ist auch hier wieder das Hurenstigma, das eine Organisation unter Sexarbeiter*innen erheblich erschwert. In Deutschland gibt es z.B. den Berufsverband für sexuelle und erotische Dienstleistungen e.V., das ist so etwas wie die Hurengewerkschaft. Dort können alle Sexarbeiter*innen und ehemaligen Sexarbeiter*innen auch anonym (z.B. unter Angabe ihres Künstler*innennamens) Mitglied werden. Viele haben aus verschiedenen Gründen Angst vor einem Outing, da die Stigmatisierung und Diskriminierung von Sexarbeiter*innen auch heute noch vielfältige Formen annimmt: Verlust des Sorgerechts für Kinder, Kündigung in anderen Jobs, Verlust von Freund*innen oder Kontaktabbruch durch Familienmitglieder. Meine Kollegin Josefa hat in einem Video ganz anschaulich gezeigt, was ein Outing für Sexarbeiter*innen bedeuten kann (dafür bitte hier klicken).
Kannst du noch ein bisschen mehr zum „Hurenstigma“ sagen – woher kommt diese Stigmatisierung und wen betrifft sie?
Die Stigmatisierung von Sexarbeiter*innen ist eine Folge der alten patriarchalen Aufteilung von Frauen in „Heilige“ und „Hure“ – davon sind letztendlich alle Frauen betroffen, nicht nur die, die in der Sexarbeit tätig sind. Es gibt die beiden Kategorien der „guten“ Frau und ihr entgegengesetzt das „gefallene Mädchen“. Gewalt gegen Frauen wird dann z.B. damit gerechtfertigt, dass sie diese „selbst provoziert“ hätten, z.B. durch knappe Kleidung.
Ja genau! Gerade dieser Spruch „Selber Schuld“ kehrt in vielen gesellschaftlichen Bereichen wieder. Frauen* wird oftmals vorgeworfen, dass sie selbst schuld sind an ihren Benachteiligungen. Deshalb ist das Motto der Brandenburgischen Frauenwoche dieses Jahr „Selber Schuld“.
Tolles Motto! Vom Hurenstigma sind Sexarbeiter*innen besonders betroffen, allerdings in unterschiedlichem Maß. Mehrfachdiskriminierte Personen wie trans* Sexarbeiter*innen sind oft stärker davon betroffen. Eine Besonderheit an dieser gesellschaftlichen Benachteiligung ist, dass sie zwar einerseits ausgrenzt und Sexarbeiter*innen als das „gefährliche Andere“ konstruieren, andererseits aber auch eine Opferposition zuschreibt. Sexarbeiter*innen wird häufig die eigene Handlungs- und Entscheidungsmacht abgesprochen, oft sprechen nur andere Personen über Sexarbeiter*innen – deshalb ist auch eine wichtigste Forderung der internationalen Hurenbewegung „Nothing about us without us!“.
Hier geht es also eigentlich um eine klassische feministische Forderung: Selbstbestimmung. Wie kann selbstbestimmte Sexarbeit aussehen?
Dazu gibt es natürlich keine einfache Formel und diese Frage hat ganz viel mit der Frage zu tun, wie selbstbestimmte Arbeit aussehen kann – vor allem in einer kapitalistischen Gesellschaft, in der sich aktuell die wenigstens Menschen wirklich frei aussuchen können, ob und was genau sie arbeiten wollen.
Ein wichtiger Schritt war das Prostitutionsgesetz im Jahr 2002, das Sexarbeit aus der Sittenwidrigkeit herausgeholt hat – somit ist es z.B. möglich, sich als Sexarbeiter*in krankenversichern zu lassen. Möglichst gute Arbeitsbedingungen sind ebenfalls zentral, aber sehen in den verschiedenen Bereichen der Sexarbeit auch ganz unterschiedlich aus – auf der Straße sind z.B. genügend Mülleimer und „Verrichtungsorte“ nötig, im Bordell vielleicht ein geräumiger Pausenraum oder auch eine gute, rückenschonende Matratze.
Wichtig ist aber vor allem Sexarbeiter*innen zu empowern, damit sie selbst für gute Arbeitsbedingungen kämpfen, sich beruflich weiterentwickeln oder umorientieren können. Bei Hydra gibt es zum Beispiel das Peer-Projekt, bei dem Sexarbeiterinnen an den Arbeitsplätzen im Bordell, im Sexkino, etc. Workshops und Austausch für andere Sexarbeiterinnen anbieten – Empowerment und Wissen um die eigenen Rechte sind die Grundlage für selbstbestimmtes und sicheres Arbeiten.
In letzter Zeit verstärkt sich der Protest, vor allem wegen des neuen Prostituiertenschutzgesetzes. Was sind die nächsten Aktionen oder Veranstaltungen?
Es gibt bundesweit zum Beispiel die Kampagne „Sexarbeit ist Arbeit. Respekt!“, die in nächster Zeit auch immer wieder Aktionen und Veranstaltungen organisieren wird.
Am 8. März, dem Internationalen Frauenkampftag, wird es einen weltweiten Hurenstreik geben, die zentrale Forderung ist die komplette Entkriminalisierung der Sexarbeit, d.h. die Abschaffung aller Sondergesetze. Der Streik richtet sich auch nicht nur an Sexarbeiter*innen, sondern schließt die Bereiche der Sorgearbeit mit ein: „Indem wir uns zusammenschließen, streiken wir gegen die Bedingungen der sichtbaren bezahlten Arbeit von Frauen und die unsichtbare und entwertete häusliche und sexuelle Arbeit, die die Welt am Laufen hält, die Profite und unsere Gemeinschaften und Familien in Gang hält.“ Den Aufruf wird es bald auch in vielen anderen Sprachen geben – schließt euch dem Hurenstreik an!
Fragen: Verena Letsch (Referentin für Koordination, Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit im FPR)
Antworten: Daniela (Hydra e.V.)
Bild: OpenSource