Sexarbeit ist Care-Arbeit: Interview mit einem Mitglied von Hydra e.V. (Teil1)
Liebe Daniela,vielen Dank für das Gespräch! In unserer Care-Reihe soll es heute um das Thema Sexarbeit gehen. Du bist Mitglied bei Hydra e.V.. Könntest du uns erzählen, was sich der Verein zur Aufgabe gemacht hat?
Hydra ist die älteste Hurenselbstorganisation in Deutschland, den Verein gibt es schon seit 1980 und seitdem setzen wir uns vor allem für die rechtliche und soziale Gleichstellung von Sexarbeiter*innen mit anderen Erwerbstätigen ein. Hydra unterhält außerdem eine Beratungsstelle für Prostituierte in Berlin, dort können sich in der Prostitution tätige Menschen zu ganz vielen verschiedenen Themen (Gewalterfahrungen, Probleme im Job, aber auch Steuerberatung, etc.) Unterstützung holen. Für Menschen, die sich überlegen in die Sexarbeit einzusteigen, gibt es auch eine kostenlose und anonyme Orientierungsberatung. Gerade in Zeiten der Zwangsberatungen umso wichtiger!
Du arbeitest selbst nicht als Sexarbeiterin, oder? Wie kam es dazu, dass du dich bei Hydra engagierst?
Für mich ist Sexarbeit, sowie der gesellschaftliche Umgang damit und mit Prostituierten ein feministisches Kernthema, das viele Schnittstellen zu sexueller Selbstbestimmung, Arbeitsrechten und auch den Frage- und Problemstellungen der Sorgearbeit aufweist. Trotzdem ist es leider nach wie vor ein Thema, bei dem viel emotional diskutiert wird, anstatt sich mit den Fakten und tatsächlichen Lebensrealitäten der Sexarbeiter*innen auseinanderzusetzen.
Ja, wahrscheinlich ist das Thema Sexarbeit die größte feministische Kontroverse seit jeher. Du sprichst von Selbstbestimmung. Viele sehen in der Sexarbeit die Unterdrückung von Frauen. Was würdest du dazu sagen?
Hier ist es in erster Linie wichtig, zwischen sogenannter „Zwangsprostitution“ oder Menschenhandel und freiwillig ausgeübter Sexarbeit zu unterscheiden. Die Gründe in die Sexarbeit einzusteigen sind vielfältig und Faktoren wie Armut und der Mangel an anderen Erwerbsmöglichkeiten spielen dort natürlich auch oft eine Rolle. Aber dies gilt für andere Berufszweige ebenso, ist bei ALDI an der Kasse zu sitzen oder unterbezahlt ältere Menschen zu pflegen auch automatisch „Unterdrückung von Frauen“? Wie in anderen Branchen auch, müssen die Arbeitsbedingungen in den Fokus genommen werden und dies funktioniert nur zusammen mit den Menschen, die dieser Tätigkeit nachgehen.
Viele sprechen über Sexarbeit, du kämpfst gemeinsam mit Sexarbeiterinnen für die Verbesserung ihrer Rechte. Zum Thema Recht: Dieses Jahr ist das Prostituiertenschutzgesetz in Kraft getreten. Aus den Reihen der Aktivistinnen hört man eigentlich nur Kritik daran. Wogegen richtet sich diese Kritik?
Ein zentraler Kritikpunkt ist die neue Anmeldepflicht mit der einerseits eine bundesweite „Hurenkartei“ erstellt wird und andererseits ein sog. „Hurenausweis“ (Anmeldebescheinigung) ausgegeben wird. Dieser enthält u.A. den Namen oder Künstlerinnennamen der Person und ein Foto und muss ständig bei der Arbeit bei sich getragen werden. Mit dieser Anmeldung sind zahlreiche datenschutzrechtliche Risiken verbunden und da Sexarbeit immer noch eine mit Stigma und Ächtung behaftete Tätigkeit ist, haben viele Sexarbeiter*innen Angst vor einem ungewollten Outing. Aus diesem Grund sind viele nun von Existenzängsten bedroht und einige werden auch illegalisiert weiterarbeiten – was eine schlechtere Erreichbarkeit für Hilfs- und Unterstützungsangebote bedeutet. Aber auch die Regulierungen für Prostitutionsbetriebe wie Bordelle, FKK-Clubs oder Laufhäuser sind nicht hilfreich: Für kleine Wohnungsbordelle, in denen sich einige Sexarbeiter*innen die Miete teilen, gelten die gleichen Regeln wie für riesige Laufhäuser. Ausführlich haben wir die Kritik auch in einer Stellungnahme schon im Jahr 2015 dargelegt.
Letzte Frage: Wir finden, dass Sexarbeit zum Bereich Sorgearbeit gezählt werden kann. Gibt es da auch aus deiner Sicht Anknüpfungspunkte?
Ja, auf jeden Fall gibt es die und auch nicht nur die offensichtliche Überschneidung, dass wie in den meisten Care-Berufen hauptsächlich Frauen in dieser Branche arbeiten. Sexarbeit beinhaltet in der Regel einen direkten und meist sehr intimen Kontakt mit einer anderen Person, bei dem zentrale menschliche Bedürfnisse wie Nähe, Bestätigung und körperlicher Kontakt erfüllt werden (sollen). Wie in anderen Bereichen der Sorgearbeit ist es auch hier wichtig, gut auf Grenzen und Selfcare zu achten.
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(Teil 2 folgt im nächsten Jahr)
Fragen: Verena Letsch (Referentin für Koordination, Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit im FPR)
Antworten: Daniela (Hydra e.V.)