„Reparatur- und Wartungsdienst für Menschen“ – Zustand und Perspektiven der Care-Arbeit*

*Dieser Text ist eine Zusammenfassung der Inhalte der Diskussion des GenderSalons zum Thema „CareRevolution -Alte Werte neu gelebt!?“, welcher am 9. März 2018 im Rechenzentrum anlässlich der 28. Brandenburgischen Frauenwoche stattfand. Genaue Informationen zur Veranstaltung entnehmen Sie bitte unserem Blogbeitrag.

Unter Care-Arbeit (dt. Sorgearbeit) können verschiedene Tätigkeiten zusammengefasst werden, die in den Bereichen Pflege, Betreuung, Erziehung und Fürsorge angesiedelt sind: Kranken- und Altenpflege, Betreuung von Menschen mit Beeinträchtigungen, Kinderbetreuung und -erziehung, Sterbebegleitung, aber auch für Freunde da sein oder Arbeit mit geflüchteten Menschen. Eine zusammenfassende These dazu lautete: Immer dann, wenn wir füreinander da sind und sozial interagieren, dann leisten wir Care-Arbeit. Es ist außerdem entscheidend, über welche Art der Care-Arbeit gesprochen wird: bezahlte oder nicht bezahlte Care-Arbeit. Hierbei kann auch nochmal Gabriele Winkers Unterscheidung in bezahlte Care- und Sorgearbeit und die nicht bezahlte Reproduktionsarbeit, die vor allem Frauen* privat leisten, dienlich sein. In der Diskussion wurde der Fokus auf die bezahlte Care-Arbeit gelegt, einige Diskussionsbeiträge bezogen sich jedoch auch auf Reproduktionsarbeit.

Immer dann, wenn wir füreinander da sind und sozial interagieren, dann leisten wir Care-Arbeit.

Häufig begegnet uns Care-Arbeit in öffentlich finanzierten Bereichen der Gesellschaft, allerdings gibt es seit den 1980er Jahren eine Tendenz zur Privatisierung und Auslagerung pflegerischer Aufgaben. Auch wird es seit einigen Jahren politische gewollt, dass z.B. ältere Menschen länger zu Hause in gewohntem Umfeld betreut und gepflegt werden. Dies führt dazu, dass die eigentlichen Herausforderungen dann beginnen, wenn diese Menschen professionelle Altenpflege in Anspruch nehmen müssen, denn vor allem private Träger seinen nicht auf qualitativ hochwertige Pflege und eine hohe Pflegebedürftigkeit ausgerichtet, sondern auf Kosteneinsparungen und Profitorientierung. Die Bedingungen und Strukturen der bezahlten Sorgearbeit verschlechtern sich also zunehmend.

Die Tendenz zur Privatisierung von Care-Arbeit sorgt zusätzlich auch dafür, dass Arbeitskämpfe der Care-Arbeitenden erschwert werden. Für Tarifverhandlungen stehen Care-Arbeitende weniger Hebel zur Verfügung, z.B. sind Streikmöglichkeiten sehr stark eingeschränkt, denn das wäre unter Umständen rechtlich unterlassene Hilfeleistung (wobei sich privat, also zu hause, mit der pflegebedürftigen Tante natürlich noch schlechter streiken). Weiterhin sind Beschäftigte im Sorgebereich mit ihren Anliegen und Forderungen wenig sichtbar und erfahren öffentlich wenig Unterstützung.

Die Dreifaltigkeit der desolaten Verhältnisse: wenig Zeit, schlechte Bezahlung und geringe Anerkennung

 

So sind Care-Arbeitsverhältnisse häufig prekär: zu wenig Zeit für zu viele Klient*innen, schlechte und zu geringe Entlohnung, sowie kaum allgemeine Wertschätzung desillusionieren viele Care-Arbeitenden und führen zu desolaten Verhältnissen. Nicht nur, wenn sie die berufliche Praxis und ihren Rahmenbedingugen genau kennenlernen, sondern auch schon vorher z.B. im Studium der Sozialen Arbeit. Neben Gleichstellungsarbeit und Förder- und Vereinbarkeitsprogrammen für Frauen*, sollten Hochschulen die gesellschaftlichen Konsequenzen von geschlechtersensibler Lehre und Vermittlung absehen und geschlechtlichen Rollenklischees schon bei der Wahl des Studienfachs entgegenwirken. Bestenfalls vermitteln Hochschulen ein konkretes Bild der Beschäftigungsrealitäten und bereiten die Studierenden kritisch, bestärkt und resilient auf diese Herausforderungen vor, bieten Möglichkeiten der Vernetzung und sind sich ihrer Verantwortung der Profession gegenüber bewusst – allerdings ist für viele Studierenden schon das Studium selbst eine prekäre Situation, besonders, wenn diese dazu noch Familienaufgaben bewältigen müssen. Das trifft besonders häufig Studentinnen mit Kindern oder zu betreuenden / zu pflegenden Angehörigen.

Allgemein ist es unabdingbar die Rahmenbedingungen, unter denen Care-Arbeit geleistet wird, genau zu betrachten, aber auch in welchem Zusammenhang diese z.B. mit Geschlecht stehen. Dass unter den Care-Arbeitenden der Großteil Frauen* sind, hängt eng mit der geringen Wertschätzung und schlechten Entlohnung der Branche zusammen – denn allgemein wird weibliche Arbeit weniger wertgeschätzt als männliche. Auch private Care-Arbeit bzw. Reproduktionsarbeit stellt häufig für Männer* ein Leistbarkeits-Debakel dar. Dass neben der Vollzeit Lohnarbeit auch noch Kindererziehung, Pflege von Oma und Opa oder die Unterstützung von Freund*innen möglich sein soll, bildet, neben Nährböden für partnerschaftliche Konflikte, besonders die gesellschaftliche Schieflage ab. Denn werden Pflegetätigkeiten wieder in die Privatsphäre verlagert, bedeutet das unter Umständen einen Rückgriff auf veraltete Ernährer- und Versorgermodelle, welche wiederum mehr Abhängigkeiten für Frauen* bedeuten. Denn oft verdienen Männer*, dank dem Gender Pay Gap noch immer mehr als Frauen*, welche dann auf Teilzeitbeschäftigungen zurückgreifen.

Auch eine Analyse kapitalistischer Verhältnisse muss erfolgen, sollen die Bedingungen unter denen Care-Arbeit stattfindet, verändert und verbessert werden. So ist in vielen Grundlagenwerken zum Kapitalismus, seien sie von Weber oder Marx, die Arbeit an und mit Menschen eine Voraussetzung für das Funktionieren des Systems allgemein. Damit wird sie auch unsichtbar gemacht, wie zahlreiche Kapitalismus kritische Feminist*innen nahelegen. Nun ist Care-Arbeit allerdings eine besondere warenförmige Dienstleistung, sodass sie auch im heutigen Wirtschaften lieber als vorausgesetzt angenommen wird, als sie entsprechend zu wertschätzen – denn mit der Klarheit über den enormen gesellschaftlichen Wert dieser Arbeit, wäre sie auch gleich enorm viel teurer.

Gabriele Winker konstatiert in ihrem Buch „Care Revolution – Schritte in eine solidarische Gesellschaft“, dass sich die soziale Reproduktion (also Care-Arbeit) in der Krise befindet. Sie wird besonders da deutlich und erfahrbar, wo Menschen an die Grenzen ihrer Belastbarkeit kommen und Überforderung zum Alltag wird. Im Land Brandenburg gibt es ein kostenloses Beratungstelefon – Pflege in Not. Angehörige, Pflegebedürftige und Care-Arbeitende können dort in Konfliktfällen anrufen und erhalten Beratung, Mediation und Unterstützung. Allerdings ist dies nur ein sehr kleiner Schritt hin zu wirklichen Veränderungen in der Care-Arbeit!

Denn diese werden vehement gewünscht und auch vorangetrieben. Neben einer viel besseren Bezahlung und mehr Wertschätzung wünschen sich Care-Arbeitende vor allem mehr Zeit, sowohl für ihre Klient*innen, als auch privat. Hier muss also auch dringend an der (als selbstverständlich geltenden) Institution „40h-Woche“ gerüttelt werden. Denn Erschöpfung, Müdigkeit, Burn-Out, hoher Krankenstand, geringes Engagement und Interesse (auch an der Verbesserung der eigenen Arbeitsverhältnisse) sind auf Überarbeitung und Überlastung zurück zu führen. Aber auch die Zusammenarbeit des Teams in einer Einrichtung kann maßgeblich für das Wohlbefinden der Arbeit*innen sein, ebenso wie Kommunikation und Austausch z.B. in Form von Reflektion und Supervisionen untereinander oder mit Vorgesetzten. Mit der Arbeit allein gelassen und bedeutungslos an den Rand der Gesellschaft gedrängt zu werden – das ist eine große Angst von Care-Arbeitenden.

Aktiv werden, obwohl ich gerade selber nicht leide – Anerkennen, obwohl ich selber gerade nicht betroffen bin

 

Es ist also wichtig, die Zustände in der Care-Arbeit als desolat zu begreifen und neben Veränderungen auch Alternativen zu diskutieren und zu ermöglichen. So gibt es z.B. ein Gesundheitskollektiv in Berlin, bei welchem Klient*innen und Patient*innen „Gesamtpakte“ von medizinischer Untersuchung bis hin zur Rechtsberatung erhalten (und das bei flachen Hierarchien und geteilter Verantwortung). Auch wird es angestrebt Pflegekammern für die Krankenpflege zu gründen. Zudem ist es wichtig Teilhabe zu ermöglichen, sodass alle betroffenen auf Augenhöhe miteinander diskutieren und und Lösungen aus der Krise finden können z.B. im lokalen Netzwerk Care Revolution – ebenso wie Eigenverantwortung und Selbstorganisation zu stärken, denn dem Individuum muss klar sein:

Früher oder später bin auch ich auf Pflege oder Betreuung angewiesen und deshalb liegt es in meinem Interesse, dass es Care-Arbeitenden gut geht!

Text: Laura Schleusener

Literaturnachweis: Winker, Gabriele: Care Revolution. Schritte in eine solidarische Gesellschaft. transcript Verlag, Bielefeld, 2015