Once-a-month: für zyklusgerechte Hochschulkultur

Posted by on Sep. 29, 2022 in Allgemein

– Gastbeitrag des Koordinationsbüros für Chancengleichheit der Universität Potsdam –

An der Universität Potsdam hat dieses Jahr eine ganz besondere Veranstaltungsreihe stattgefunden: Es ging um Menstruation und Hochschule, zwei Begriffe, die hier zuvor eher selten gemeinsam gebraucht wurden. Die Reihe entstand vor dem Hintergrund an dieser patriarchal geprägten und von Tabus bewegten (Nicht-)Kommunikation etwas zu ändern. Dieser Beitrag stellt daher die Frage, ob nun lauter geblutet wird? Ein Resümee über Zusammenhänge von Demokratie, Tabus, Bildungs- und Gesundheitssystem. Er ist unterlegt von der Bitte, den Mund aufzumachen und sich selbst den Raum zu geben, ganz in Ruhe auch mal nicht zu funktionieren.

Once a month - Eine Veranstaltungsreihe zu Menstruation und Gesundheit an der Hochschule

„Aller Anfang ist verflixt, Alice“ heißt der Vorläufer einer Buchreihe der US-amerikanischen Autorin Phyllis Reynolds Naylor. Und ich weiß nicht mehr, ob es mir in der Stadtbibliothek in die Hände fiel oder ich es mir in einem der Bücherläden der trostlosen Kleinstadt in Ostdeutschland, in der ich aufgewachsen bin, von meiner Mutter kaufen ließ. Was ich noch weiß, ist, dass ich die Alice-Reihe zu Beginn meiner Pubertät zu lesen begann. Ohne die leiseste Ahnung davon, dass es mich mehr über Körper und Sexualität lehren würde, als der Biologieunterricht an der neuen Schule, die sich gerade in meinen Lebensweg gesetzt hatte. Und das lag nicht an der Schule, sondern an dem Bildungssystem. An Biologiebüchern mit veralteten Abbildungen und einer Lehrer*in, die das lehrte, was sie immer so gelehrt hatte: Mit einer Hand voll Tabuisierung von Themen wie Menstruation und Zyklus, und einem Eimer voller Stigma auf weibliche Lust, Klitoris und Sex (der mehr kann als Kinder machen). Die Welt der Bücher aber brachte mir die Stimme der fiktiven Alice, welche mir eine Freundin werden sollte. Eine, die die Fragen stellte, auf die ich auch keine Antwort hatte. Eine, wegen der die Autorin, die sie erschuf, im Jahr 2003 auf Platz 1 der Liste der American Library Association (ALA-Liste) für am meisten angegriffene Bücher landete: Kein schöner Ort für gelungene Aufklärung und Literatur, die der Selbstbestimmtheit von Individuen einen Dienst leistet.

Die einprägsamsten Begegnungen mit Alice kamen aber erst später, genauer in dem Jahr des Aufklärungsunterrichts – ich besuchte (schweren Herzens) die sechste Klasse. Alles veränderte sich. Der eigene Körper, die Kinder um einen herum, das Miteinander, die Pubertät hatte uns alle – gnadenlos – erwischt. Genau wie der Ernst des Lebens, der ein zweites Mal begann. Dieses Mal auf der weiterführenden Schule. Und was aus meiner Perspektive als Schülerin schon aufwirbelnd anmutete, davon vermögen Lehramtsstudierende der Biologie wohl ein Lied singen: Sexualkunde. Ein Wort wie ein Verbot. Bloß nicht zu viel erzählen, bloß nicht zu laut aussprechen. Dennoch, irgendwas muss doch gesagt werden? Wie bringt man diesen Wesen angemessen nahe, was sie wissen müssen? Wie kann ein Unterricht sich den Themen annehmen, die gesellschaftlich bis heute tabuisiert werden? Auch die Buchreihe von Reynolds Naylor beschäftigt sich mit all diesen Themen. Alice Mutter ist verstorben, der Vater alleinerziehend, ihr Bruder auch nicht unbedingt der richtige Ansprechpartner. Daher hatte das Mädchen zu tun, um all die Entwicklungen um sie herum und an ihr selbst zu verstehen – genau wie ich und die Gleichaltrigen meiner Stufe damals. Und heute, hätte ich sie nicht längst aus meinem Regal und meiner Realität verdrängt, so würde die buchstäbliche Protagonistin neben Büchern wie „CLIT – die aufregende Geschichte der Klitoris“ von Louisa Lorenz oder „Frauenkörper neu gesehen“ von Laura Merrit stehen. Beides Autorinnen, die mit ihrer Forschung Finger in gesellschaftliche Wissenslücken legen, um Unsichtbarkeiten zu beenden.

Die Veranstaltungsreihe „Once-a-month“ ist vor diesem Hintergrund an der Universität Potsdam gewachsen. Zu Beginn standen Beschwerden von Studierenden, die sie ans Koordinationsbüro für Chancengleichheit trugen. Sie fühlten sich diskriminiert, weil sie an Prüfungen teilnehmen wollten, sich aber aufgrund der körperlichen Verfassung – in der prämenstruellen Zyklusphase oder der der
Menstruation mit den entsprechenden Beschwerden – nicht in der Lage dazu sahen. Stress manifestiert Schmerzen. Tabletten helfen nicht immer, und sollten nicht die einzige Antwort sein. Es braucht den Raum, um Periode und Prüfung zu kontextualisieren und Ausnahmeregelung zu schaffen. Es braucht Wissen um den eigenen Körper, um sich selbstbestimmt an der Hochschule und durch das Leben zu bewegen. In der Auftaktveranstaltung von „Once-a-month“ sprachen wir mit Taina Engineer vom feministischen Frauengesundheitszentrum (FFGZ) und Dr. Laura Merrit (die Aktivistin, sexpositive Feministin und Lachforscherin ist) genau darüber. Wir sprachen über Zusammenhänge von Kommunikation, Demokratie, Tabus, Bildungs- und Gesundheitssystem. Es folgten einmal im Monat Workshops zu verschiedenen Themen und in einer Podcastreihe wurde noch mehr geredet. Das Feedback war überwältigend und fiel überwiegend positiv aus. Viele erkannten sich wieder, etwa das ihnen mittels Sozialisation eingravierte Schweigen, wenn es so einfach sein könnte und doch so schwer fällt zu sagen: „Ich kann heute nicht arbeiten/studieren/funktionieren, ich bin in der prämenstruellen Phase und habe Krämpfe/Kopfschmerzen/Übelkeit/depressive Symptome.“.

Bild "empower" von Katja Schubel

Bild von Katja Schubel

Kommunikation darf nicht unterschätzt werden. Sie ist – sensibel und doch taktisch eingesetzt – für ein Regelwerk wie jenes einer Hochschuldemokratie, deren Abläufe sich in formellen und informellen Normen schreiben, mehr als Schall und Rauch. Ansprechen hat das Potential regulatorische Eigenheiten und ihnen entspringende Ungleichheiten zu verschieben. Nur was diskutiert wird, das kann auch neu verhandelt werden. Zwar werden am Charakter der Hochschule als einer „Gendered Organization“, um mit Joan Acker zu reden, ein paar vereinzelte Sätze sicher nicht rütteln können. Durch ein paar Worte werden über Jahrhunderte manifestierte und in Hochschulstrukturen einprogrammierte Geschlechterungerechtigkeiten sicherlich nicht revidiert. Das zeigen die Paragraphen §7 und §68 des Brandenburgischen Hochschulgesetzes, welche die Institutionalisierung und Form struktureller Gleichstellungsarbeit für brandenburgische Hochschulen gesetzlich rahmen. Sie sind auf Dauerhaftigkeit und als Konsequenz dessen konzipiert, dass Universitäten als CIS-männliche Orte entstanden sind – damit eben „gendererd“ sind, was bedeutet und wie es Acker treffend schreibt: „To say that an organization, or any other analytic unit, is gendered means that advantage and disadvantage, exploitation and control, action and emotion, meaning and identity, are patterned through and in terms of a distinction between male and female, masculine and feminine“ (Acker, S. 146). Auf dieser Erkenntnis ruhen auch Gleichstellungszukunftskonzepte wie das derzeit geltende der Universität Potsdam. Dieses gibt Aufschluss über Geschlechterverhältnisse, Chancenungleichheit und Maßnahmen, die dies ändern sollen. Konkretisiert wird damit ein Verfassungsauftrag, nämlich der aus Art. 3 II, III GG, wie er auch staatliche Universitäten trifft. Die eben schon erwähnte, einfachgesetzliche Ausformung des § 7 III S.2 des brandenburgischen Hochschulgesetzes sei dabei hervorgehoben. Dieser enthält das Prinzip des „Gender Mainstreamings“. Danach sind „Bei allen Entscheidungen und Vorschlägen“ innerhalb der Institution geschlechtsspezifische Auswirkungen zu beachten. Dieses Prinzip ist wichtig. Es darf aber nicht davon ablenken, dass etwa formell vorgegebene Verfahren zur Entscheidungsfindung selbst schon geschlechtsspezifische Auswirkungen haben. Und auch nicht davon, dass beispielsweise Leistungen, die erbracht werden, von Körpern ausgeführt werden müssen, die menstruieren. Wenn also Entscheidungen über diese Leistung – sei es bei einer Sporteignungsprüfung oder einer mündlichen Prüfung zur Verteidigung einer Masterarbeit – getroffen werden, und die Entscheider*innen nicht mal wissen, dass die Person menstruiert – dann wissen sie auch nicht um die geschlechtsspezifischen Auswirkungen ihrer Entscheidung. Puh, durchatmen. Kurzum: Für Individuen kann ein Wort eine Chance bedeuten. Denn immer dann wenn es auf Tabus fällt, fällt es auf. Das Tabu ist kurz entzaubert, denn dessen Macht liegt gerade darin, dass es sich ungesehen fortschreiben darf, weil niemand es anspricht. Wird es aber getan, und auch öfter getan (denn erste Akte laden dazu ein, wiederholt zu werden) – dann können eingefahrene feststehende Muster dadurch zu bröckeln beginnen. Mitunter empowert es die ein oder andere Person, aus einem anderen Mund zu hören, was sie so oft gedacht hat. Vielleicht hilft dieses Empowerment auch, selbst einmal etwas zu sagen. Und das könnte dazu führen, dass irgendwann normal ist, was heute so undenkbar scheint: Vor einem Prüfungskomittee zu sagen, dass man menstruiert etwa – oder gar, einen Antrag auf Zuweisung eines anderen Termins zu stellen, wenn man den eigenen Zyklus kennt und weiß, dass der Prüfungstag in die Menstruationsphase fällt. Diese Beispiele sind notwendig weich, so wie Organismen. Fluide, passgenaue Lösungen anerkannt durch das Recht, das ist, wonach wir suchen müssen.

"Let's talk. Period" Der Podcast des KfCIch spüre den Blick der erwachsenen Alice auf meine Tastatur, während ich das schreibe, und ihr fragendes Lächeln. Es könnte so einfach sein, doch es bleibt verflixt, mit neuen Dingen anzufangen. Dabei macht Reden schön, so ein utopisches Sprichwort, dass es (noch) nicht gibt. Aber geben sollte! Denn wäre es nicht schön geschlechtergerecht, wenn alle über Körperprozesse reden und ihre eigene Anatomie und Physiologie kennen? Deswegen hat das Koordinationsbüro für Chancengleichheit auch den Podcast unter dem Namen „Let´s talk:Period“ ins Leben gerufen. Wir wollten anfangen. Und gesprochen haben wir da mit allen Referent*innen der Veranstaltungen der „Once-a-month-Reihe“. So auch mit Fee Reinoso von VisionPeriod (Podcast 4). Sie hat dieses StartUP gegründet, das zusammen mit Unternehmen Kommunikationsstrategien entwickelt, um eine zyklusgerechtere Kultur zu ermöglichen. Für die Universität könnte sowas auch nicht schaden.

Die Veranstaltungsreihe sollte Schulter wie Mutmacherin, Vorbild wie Anker sein. Ob um persönliche Herausforderungen im Studienalltag zu thematisieren oder aber für die eigene Arbeit. So besteht die Hoffnung, dass es Lehramtsstudierenden im Biologieunterricht nun – nach dem Besuch des Workshops „Clitnight“ von Louisa Lorenz – leichter fällt über die Existenz der Klitoris zu reden. Und darüber, wie groß sie eigentlich ist und warum man sie kennen sollte (auch als CIS-Mann, dazu siehe Gespräch mit Louisa Lorenz) – auch wenn manche Biologiebücher das bis heute nicht tun.

Sollte eine Person ihre Erfahrungen zum Thema Menstruation und Prüfungsordnungen teilen wollen, dann kann sich an der Universität Potsdam an das Koordinationsbüro für Chancengleichheit gewendet werden (Mail an: gba-team@uni-potsdam.de), so die der Reihe zugrundeliegende Botschaft: Gemeinsam für eine menstruationsgerechte Hochschulkultur. Und wenn du nur zuhören willst: In der vorerst letzten Podcastfolge [5] wurde nochmal tiefgründiger als in diesem Beitrag beleuchtet, was Menstruation mit Hochschule und Gesellschaft zu tun hat. In jener Folge geht es auch darum, weshalb Seriosität wahren und über Periode sprechen sich nicht ausschließen.

Aller Anfang ist verflixt, auch für Hochschulen – aber es lohnt – gestern wie heute und jetzt erst recht – zu sprechen, um mit Tabus zu brechen. Nicht nur „Once-a-month“, sondern täglich. Denn dass wir bluten, das ist persönlich. Wie wir aber bluten, das ist eine demokratische Angelegenheit und Politikum – auch über die Mauern der Hochschule hinaus. Ich höre auf zu tippen, schaue zu Alice und sie nickt. Dabei bindet sie sich ihren Schal um, bleibt im Türrahmen stehen und winkt zum Abschied. Dann verschwindet sie in den Herbst und mit ihr der Wunsch, dass auf einen verflixten Anfang eine Selbstverständlichkeit im Umgang mit Menstruation folgt, wie sie den berechtigten Ansprüchen aller blutender Subjekte im (Hochschul-) Alltag gerecht werden kann.

Autorin

Katja SchubelKatja Schubel ist Wissenschaftliche Hilfskraft im Kooperationsbüro für Chancengleichheit. Sie hat einen Bachelor of Law und erstes juristisches Staatsexamen. „Das Koordinationsbüro für Chancengleichheit (KfC) informiert, berät und sensibilisiert unter der Leitung der Zentralen Gleichstellungsbeauftragten in hochschulpolitischen Gleichstellungsfragen und zu Diversität. Die Förderung von Gleichstellung und Diversität an der Universität Potsdam ist eine Querschnittsaufgabe. Das KfC koordiniert dabei die unterschiedlichen Themen, setzt sich aktiv für den Abbau jeglicher Formen der Diskriminierung ein und fördert die Chancengleichheit an der Hochschule.“ (KfC-Webseite)

Material

Flyer "Once a month"

Flyer „Once a month“