Keine Rolle rückwärts bitte – Chancengerechtigkeit an brandenburgischen Hochschulen
Die schnelle Verbreitung des Corona-Virus SARS-CoV-2 und die Auswirkungen zeigen sich bereits nach einigen Wochen auch in Forschung, Studium und Lehre. Die Hochschulen im Land Brandenburg haben sich für einen Präsenznotbetrieb/eingeschränkten Betrieb sowie größtenteils für Online-Lehre entschieden. An vielen Stellen funktioniert dies bereits sehr gut. Wann immer es möglich ist, forschen, arbeiten und studieren Wissenschaftler*innen, Mitarbeitende in Technik und Verwaltung sowie Studierenden von zuhause. Manche finden im „Home Office“ eine lange vermisste Ruhe und Konzentration. Viele aber, besonders Frauen und Alleinerziehende, können neben der Arbeit, der Sorge für Kinder oder der Pflege für Angehörige nur schwer einen klaren Gedanken fassen. Diese neuen Arbeitsalltage bringen viele an ihre Belastungsgrenzen. Die Geschlechterungleichheiten kristallisieren sich auch an Hochschulen auf vielen Ebenen mal offensichtlich, mal versteckt heraus. Erste Studien zeigen bereits, dass die Publikationsleistung von Frauen sinkt. Die Beratungsanfragen in den Familienbüros und bei den Gleichstellungsbeauftragten steigen stark an.
Die brandenburgischen Hochschulen haben wichtige Maßnahmen ergriffen, sie informieren regelmäßig, es gibt flexible Lösungen auf arbeitsorganisatorischen Ebenen. Doch gibt es weiteren Handlungsbedarf auf unterschiedlichen Ebenen, denn erstmal ist ein Ende nicht in Sicht.
In Studium und Lehre:
Die Umstellung auf eine überwiegend oder ausschließlich digitale Lehre muss auch die Voraussetzungen am Ort des Lernens berücksichtigen und soll das Recht auf gleiche Bildung gewährleisten und umsetzen: Nicht alle Studierenden und Lehrenden haben die dafür nötige technische Ausstattung mit mobilen Endgeräten, Laptop mit entsprechender Kamera- und Videoausstattung. Ebenso wird es für diese Gruppe von Personen schwieriger sein, ruhige Arbeitsräume (dies trifft häufig Mütter, aber auch einkommensschwache Studierende, die auf die Nutzung öffentlicher Räume angewiesen sind) und Zeit (dies trifft vor allem Eltern, solange die Kitas und Schulen geschlossen haben) für das digitale Lernen und Lehren zu finden.
Für Wissenschaftler*innen:
Langfristig könnte sich die Corona-Krise zudem negativ auf die Bewertung der Leistungen von (Nachwuchs-)Wissenschaftler*innen mit Familienaufgaben auswirken: Den Freiraum, der durch das social distancing entsteht, können gesunde Kolleg*innen ohne Familienaufgaben nutzen, um Publikationen voranzubringen. Für diejenigen, die eine Familie zu versorgen haben, kann das Gegenteil der Fall sein – ihre vorhandene Zeit zum Schreiben und wissenschaftlichen Forschen ist nun noch geringer geworden. Oft ist für sie schon die Abdeckung der Online-Lehre nur unter erschwerten Voraussetzungen möglich. Hinzu kommt, dass in nicht wenigen Fällen die Forschung, die bspw. nicht in Laboren stattfindet, aufgrund der Kontaktverbote ausgebremst ist, auf Fristaufschub gesetzt werden muss, Verträge auslaufen etc.
Für Beschäftigte in Technik und Verwaltung:
Im Bereich von Technik und Verwaltung hat sich gezeigt, dass Home Office oft (noch) gar nicht möglich ist – nicht nur wegen der Kinderbetreuung, sondern auch weil die Ausstattung, der Datenschutz und das Aufgabenprofil dies begrenzen. Neue Fragen sind aufgetaucht, z.B.: Wie wird die Arbeitszeit im Home Office erfasst? Welche Aufgaben sollen (und können) im Home Office bearbeitet werden? Wie kann Gerechtigkeit im Team gewahrt werden – und kann das überhaupt angesichts der Pandemie und der so unterschiedlichen Situationen zuhause ein Ziel sein? Es kann nicht vorausgesetzt werden, dass alle Vorgesetzten wohlwollend kommunizieren und auf Bedürfnisse einer Zielgruppe besonders eingehen ohne ein familienfreundliches und chancengerechtes Signal von oben.
Sowohl Studierende, Verwaltungsmitarbeiter*innen als auch Professor*innen sind von der Krise betroffen, gleichwohl zeichnet sich ab, dass die Krise an vielen Stellen unsere Bemühungen um Chancengerechtigkeit zunichte zu machen droht. Die Landeskonferenz der Gleichstellungsbeauftragten an brandenburgischen Hochschulen setzt sich ein für mehr Solidarität und Wertschätzung unterschiedlicher Leistungen und für ein chancengerechtes und diskriminierungsarmes Miteinander an den brandenburgischen Hochschulen. Auch die Bundeskonferenz der Gleichstellungsbeauftragten informiert über Maßnahmen an deutschen Hochschulen, für mehr Geschlechtergerechtigkeit und Chancengleichheit.
Verglichen mit anderen Branchen wie Wirtschaft, Kultur, Tourismus, Gastronomie etc. geht es uns an den brandenburgischen Hochschulen relativ gut. Existenzangst, Kurzarbeit, Entlassung, Insolvenz oder auch die Ansteckungsgefahr wie in den medizinischen Berufen sind vergleichsweise gering. Wir fühlen uns solidarisch mit denen, die derzeit an den vielen Brennpunkten unserer Gesellschaft trotz aller Einschränkungen und zusätzlichen Belastungen ihren Dienst tun und sich darüber hinaus sozial engagieren. Ihnen zollen wir Respekt und große Wertschätzung – wir alle sollten uns gemeinsam dafür einsetzen, dass die erkämpften Grundrechte wieder ausnahmslos gelten und wir auf unserem Weg zu tatsächlicher Chancengleichheit der Geschlechter weiter voranschreiten. Eine Rolle rückwärts darf es nicht geben!
Text: Landeskonferenz der Gleichstellungsbeauftragten an brandenburgischen Hochschulen