Inklusion weiterbewegen und Pflegebedingungen verbessern. 2.Teil des Interviews mit „Mit uns! Elterninitiative von Angehörigen behinderter Kinder in der Niederlausitz“

Inklusion ist Menschenrecht. Foto: PK5_1823 von mainstrand. Veröffentlichung: CC-BY-NC, flickr.com

Die UN Behindertenrechtskonvention definiert Inklusion als Menschenrecht für Menschen mit Behinderung. Ziel ist es, allen Menschen einen gleichberechtigten Zugang zu gesellschaftlichen Bereichen, wie Schule, Arbeit, Freizeit zu ermöglichen, damit sie am gemeinschaftlichen Leben teilhaben können. Auch in Brandenburg wird u.a. das Konzept der inklusiven Schulbildung vorangetrieben. Gleichzeitig gibt es aber auch Kritik an der Umsetzung von schulischer Inklusion. Der Film Ich.Du.Inklusion., der im letzten Jahr erschienen ist und u.a. auch in Cottbus und in Lübben im Kino lief, erzählt von den Schwierigkeiten bei der Umsetzung von Inklusion in einer Gemeinde in Nordrhein-Westfalen. Es fehle nicht am Einsatz der Pädagog*innen, wohl aber an Infrastruktur, an Personal, Geld und Räumlichkeiten. Wie sehen Sie das für Brandenburg?

Leider nicht anders. Behinderte Kinder werden gern an noch bestehende Förderschulen delegiert. Oft entscheiden sich aber auch die Eltern für die Förderschulen, da die Klassen an „normalen“ Schulen zu groß für ihre Kinder sind, dort ein langsameres Lerntempo räumlich und personell nicht berücksichtigt werden kann. Oder es fehlt an einer nötigen Ausrüstung in den Schulen, wie Rampen, Fahrstühle, Behinderten-WC. In Cottbus gibt es beispielsweise keine inklusive Hortbetreuung für Rollstuhlkinder.

Aber Inklusion betrifft ja nicht nur den Schulbereich. Wie steht es um Inklusion, wenn wir an öffentliche Spielplätze, Freizeitangebote denken? Da gibt es in der Regel keine Spielgeräte für Rollstuhlfahrer. Oder etwa geeignete Angebote für Behinderte an Musikschulen?

Ein Thema, das sie in den letzten Monaten bearbeitet haben, war die Frage nach dem Erbrecht. Warum beschäftigt Sie das Thema? Wie ist die Situation für Menschen mit Behinderung in Deutschland? Was geschieht im Erbfall und vor welchen Problemen stehen Sie als Eltern?

Wir sorgen uns, was aus unseren Kindern wird, wenn wir Eltern nicht mehr leben.

Wenn unsere behinderten Kinder in Einrichtungen leben (Wohnstätten, Pflegeheime) und arbeiten (Werkstätten für Behinderte), die vom Sozialhilfeträger unterstützt werden, hat der Sozialhilfeträger Zugriff auf das ererbte Vermögen. Dann leitet der Sozialhilfeträger die Erbschaftsansprüche des Kindes auf sich über. Das bedeutet für das Kind, das erbt: Sein Vermögen geht verloren, ohne dass es daraus „finanzielle Vorteile“ ziehen kann. Von dem Erbe bleibt ihm ein Vermögensfreibetrag von 5000 Euro. Durch ein „Behindertentestament“ kann ich die Lebensumstände meines Kindes jedoch verbessern. Und wie das geregelt werden muss, interessiert uns als Eltern behinderter Kinder.

In Hamburg gibt es mit dem Verein Nicos Farm, der auch Kooperationsmitglied im Netzwerk Care Revolution ist, eine Elterninitiative, die momentan ein Bauprojekt auf die Beine stellt: Ziel ist es, eine Kommune/ Wohngemeinschaft aufzubauen, in der Nico auch nach dem Tod seines Vaters Arnold ein würdevolles und fröhliches Zuhause hat, dass er nicht nur finanziell abgesichert ist, sondern auch weiterhin in einem familiären Umfeld versorgt wird. Stellen sich Ihnen auch solche Fragen?

Ein wunderbares Projekt! Als Idee haben wir Ähnliches natürlich auch schon besprochen. Für die Realisierung braucht es tatkräftige Mitstreiter, Kämpfer, viel Geld und Unterstützung.

Wir denken allerdings gerade über eine selbstorganisierte Kurzzeitpflege mit dem Arbeitstitel „Nachtschwärmerhotel“ nach: Eine Möglichkeit, unsere Kinder zeitweilig in eine gute, abgesicherte Betreuung zu geben, wenn wir beispielsweise selbst krank oder ausgepowert sind und ein oder zwei Nächte mal durchschlafen möchten.

Inklusion muss auf kommunaler Ebene weiter bewegt und umgesetzt werden! Bild: Virtuelle Akademie von Inklusion kommunal FNF. Veröffentlichung: CC-BY, flickr.com.

 

Welche sind die Fragen, die Sie aktuell am meisten bewegen?

Die Verbesserung der Lebensqualität behinderter Kinder. Außerdem muss Inklusion weiter bewegt und umgesetzt werden. Die Bedingungen für die Pflege von Angehörigen muss sich massiv verbessern. Wir wollen eine gute, funktionierende Versorgung mit Hilfsmitteln.

Wie geht es weiter in 2018? Was haben Sie vor?

Aktuell beschäftigen wir uns damit, aus der Elterninitiative einen Verein zu gründen, um eine Rechtsform zu haben, mit der wir wirksamer arbeiten und auch finanzielle Möglichkeiten ausschöpfen können.

Dann wird es weitere Elterntreffen zu verschiedenen Themen geben. Für den Herbst planen wir eine Buchlesung.

Und wir möchten mehr Gehör in der Politik finden, etwas bewegen und uns als Initiative bzw. Verein stärker etablieren.

Viel Erfolg dafür und vielen Dank für das Gespräch!

 

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Die Elterninitiative „Mit uns“ erreicht ihr online über ihre Homepage und auch auf Facebook!

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Das Interview führt Sabine Carl (Netzwerk Care Revolution Potsdam) für die Reihe „Wir kümmern uns!“

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In der Blogreihe „Wir kümmern uns!“ schreiben Brandenburger*innen zu den Themen, die sie bewegen und/oder formulieren dabei auch Handlungsbedarfe und Wünsche an die Politik. Was sind aktuell wichtige Themen in Bezug auf Sorgearbeiten in Brandenburg? Wofür sollten wir uns gemeinsam einsetzen, worin uns gegenseitig unterstützen? Schreibt uns Eure Sicht der Dinge!

Kontakt: kontakt@frauenpolitischer-rat.de // care-revolution-potsdam@riseup.net