Gerechtigkeit heißt Führerschein

Posted by on Mrz. 23, 2015 in Allgemein

Blau und rosa sind die Pappkarten, die am 22. März an den Stufen der neuen Wittenberger Elbepromenade befestigt sind. Sie enthalten Zuschreibungen. Genderzuschreibungen, mit dicken Strichen manifestiert. Rosa steht für weinerlich, fürsorglich, albern, schwach und blond. Blau für kühn, aktiv, oberflächlich, sachorientiert und manipulierbar. Die Menschen, die am Sonntagvormittag über diese Stufen ihren Spaziergang über die Elbepromenade fortsetzen, sind irritiert, lesen und kommen mit den Performerinnen des Prignitzer Frauenforums ins Gespräch.

Die Initiative Frauenforum Prignitz ist eine aktive Frauengruppe, die mit Mut und Eigensinn etwas in ihrer Region, ihrer Gemeinde oder ihrer Nachbarschaft verändern will. Verschieden ist dabei der Platz, den die Gesellschaft ihnen einräumt oder den sie sich erobern. Zweimal im Jahr veran-stalten sie in der Prignitz eine Frauenwoche und beteiligen Künstlerinnen. Sie verknüpfen Kunst und kulturelle sowie politische Bildung mit künstlerischen Mitteln. Mit Aktionen wie »Frauen gehen vor im Rambower Moor« (2014) oder »die Einwanderungsküche« März (2015) sowie Frauenaktionen zur BürgermeisterInnenwahl veranstalten sie auch Willkommens-kochevents mit Flüchtlingen.

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Die Anzüge der Performerinnen hängen über Bänken, sind an den Gittern der Promenade befestigt. Heute sind »Nobodys« zivil. Sie fragen: »Gibt es einen gerechten Krieg«? »Sind soziale Unterschiede gerechtfertigt«? »Ist der Mensch von seiner biologischen Natur her ein gerechtes Wesen?

Einige über 75jährige Dorfbewohnerinnen radelten über fünfzehn Kilometer extra zu der Aktion. Busse am Sonntag, die gibt es seit Jahren nicht. In ihrer Jugend erlaubten viele Familien nur den Jungs, die Fahrerlaubnis zu machen. Das hat auch ihre Karrierechancen eingeschränkt. Und von der Rente ein Auto halten? Eine lacht und sagt: Gerechtigkeit, dafür müssen wir jeden Tag eintreten, für unsere Töchter und Enkelinnen!

Gerechtigkeit heißt Führerschein und nicht Beifahrersitz. Frauen haben in den letzten sechzig Jahren viel erreicht. Die Quote ist ein Erfolg für die Gleichberechtigung. Plötzlich Pro und Contra, Stimmen werden lauter? Quote? »Quatsch, das ist albern, sagt eine, ich bin auch so Chefin geworden! « Eine andere: Mit Trippelschrittchen vorwärts, nee. Für eine gleichbe-rechtigte Teilhabe, fifty fifty. Lasst uns unsere Mädchen stärken, jeden Tag, mit Judo, Karate, MINT und Feuerwehr. Die Puppen bleiben im Schrank.«

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Der Elbewind weht und Hunderte flanieren während der drei Stunden andauernden Performance sonntäglich entspannt vorbei. Doch angehalten von der Kunstaktion reflektieren sie über Gerechtigkeit und bringen mitunter auch unbequeme Dinge ins Bewusstsein. Die rosa Anzüge sind leer geblieben, in einigen Köpfen schwirren die Fragen.

Text und Fotos: Simone Ahrend, sah.photo

Kontakt mit Frauenforum Prignitz über: Chady Seubert & Daniela Dörfel
https://www.chadyseubert.de/, Telefon: 03395 310169