Gemeinsam Rechte einfordern und Lebensbedingungen verbessern! – 1. Teil des Interview mit „Mit uns! Elterninitiative von Angehörigen behinderter Kinder in der Niederlausitz“
Vielen Dank, dass Sie sich zeit für unsere Fragen nehmen! 2016 gründete sich die Elterninitiative Mit uns! in der Niederlausitz. Bitte stellen Sie sich doch kurz vor und erzählen Sie, warum Sie die Initiative gegründet haben.
Das Engagement unserer Elterninitiative geht vor allem von Marcel Siebelt und Mario Schulz aus, beide Väter mit behinderten Kindern. Dazu kommt Catrin Winn für die Öffentlichkeitsarbeit der Initiative. Hinter „Mit uns!“ stehen ca. 30 Eltern aus der Region, die regelmäßig zu den Treffen der Initiative kommen.
Gegründet wurde die Elterninitiative um sich zu vernetzen und gemeinsam etwas zu bewegen, mit dem Ziel, die Lebensbedingungen und -qualität für behinderte Kinder und ihre Angehörigen zu verbessern. Außerdem geht es uns darum, Informationen untereinander auszutauschen und sich gegenseitig zu stärken.
Wie sieht der Alltag von Eltern mit behinderten Kindern in der Niederlausitz aus?
Vermutlich nicht anders als in Hessen, Sachsen oder anderswo. Aber sicher anders als der Alltag von Eltern mit nichtbehinderten Kindern. Statt zum Ballettunterricht, Fußballtraining oder zur Musikschule begleiten wir unsere Kinder vielmehr zur Physio- oder Ergotherapie oder Logopädie. Wir müssen uns um Termine kümmern, seien es Arzt- oder Therapietermine, Pflichtberatungen im Zusammenhang mit dem Pflegegeld. Wir stellen auch sicher mehr Anträge, organisieren Betreuungsmöglichkeiten oder müssen Verordnungen besorgen. Behinderte Kinder benötigen sehr viel mehr Unterstützung, Beaufsichtigung und Hilfe im Alltag, die wir für sie leisten oder anderweitig organisieren müssen.
Es scheint einen großen Beratungs- und Unterstützungsbedarf seitens der Eltern zu geben. Sie berichten davon, dass pro Woche drei bis viermal Eltern anrufen, „die Probleme bei einer Hilfsmittelbesorgung haben“ . Was sind das genau für Hilfsmittel, wie werden die besorgt und welche Probleme gibt es da?
Da geht es beispielsweise um ein Pflegebett, einen Rollstuhl oder einen Toilettensitz. Also um Hilfsmittel aller Art, die per ärztlicher Verordnung bei der Krankenkasse oder Pflegekasse eingereicht werden. Diese werden mitunter recht willkürlich abgelehnt.
Ein Hilfsmittel verordnet das SPZ (Sozialpädiatrisches Zentrum) oder mitunter auch ein Kinderarzt. Mit dieser Verordnung wendet man sich an eine Firma (Sanitätshaus), die Hilfsmittel anbietet und anpasst. Dort berät man sich über das geeignete Hilfsmittel und probiert es möglichst vorab aus. Wenn das geklärt ist, reicht das Sanitätshaus die Verordnung mit einem Kostenvoranschlag bei der Krankenkasse ein, die das Hilfsmittel dann bewilligt oder ablehnt.
Was raten Sie den Eltern?
Im Fall einer Ablehnung raten wir den Eltern, Widerspruch gegen diese Entscheidung einzureichen. Manchmal empfehlen wir den Eltern auch, Akteneinsicht in den Vorgang zu beantragen und sich ggf. an die Bundesversicherungsanstalt zu wenden.
Erstaunlicherweise wissen viele Eltern nicht, wie man einen Widerspruch einlegt oder welche gesetzlichen Fristen für die Bearbeitung eines Antrags gelten.
Die beiden Initiatoren der Elterninitiative, Mario Schulz und Marcel Siebelt, fordern mehr Verständnis für die Situation von Eltern mit behinderten Kindern, mehr Öffentlichkeit und „dass existierendes Recht einfach umgesetzt wird“. Was genau ist damit gemeint?
Für behinderte Kinder gibt es ab der 6. Klasse keine Betreuungsmöglichkeiten in den Ferien oder in einem Hort. Wenn ich mein Kind aufgrund seiner Behinderung aber nicht allein lassen kann, brauche ich für die Ferienbetreuung unbezahlten Urlaub oder kann keinem 40-Stunden-Job nachgehen. Oft bleibt deshalb in Familien mit einem behinderten Kind ein Elternteil zuhause oder kann keiner geregelten Arbeitszeit nachgehen.
Dass Pflege in der Familie mit Armut einhergeht, ist inzwischen bekannt. Pflege ich ein Kind mit Pflegegrad 5 für zwölf Stunden am Tag und mehrmals in der Nacht, beläuft sich das auf einen Stundensatz von 2,50 Euro!
Ein einfaches Beispiel für ein häufiges Verständnisproblem ist das unberechtigte Parken auf einem Behindertenparkplatz.
Die Forderung, dass existierendes Recht umgesetzt werden soll, bezieht sich darauf, dass beispielsweise vorhandene Gesetzesparagraphen von den Krankassen oder Ämtern mitunter nicht angewandt werden. Das ist kein Scherz!
Das gilt beispielsweise für die UN-Behindertenrechtskonvention, die seit der Ratifizierung 2009 in Deutschland geltendes Recht ist. Aber erfahrungsgemäß stößt dieser Hinweis gelegentlich noch immer auf taube Ohren.
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To be continued…. am 31.05. folgt Teil 2!
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Die Elterninitiative „Mit uns“ erreicht ihr online über ihre Homepage und auch auf Facebook!
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Das Interview führt Sabine Carl (Netzwerk Care Revolution Potsdam) für die Reihe „Wir kümmern uns!“
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In der Blogreihe „Wir kümmern uns!“ schreiben Brandenburger*innen zu den Themen, die sie bewegen und/oder formulieren dabei auch Handlungsbedarfe und Wünsche an die Politik. Was sind aktuell wichtige Themen in Bezug auf Sorgearbeiten in Brandenburg? Wofür sollten wir uns gemeinsam einsetzen, worin uns gegenseitig unterstützen? Schreibt uns Eure Sicht der Dinge!
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