Gemeinsam gegen Gewalt gegen Frauen und Mädchen
Jedes Jahr rufen zivilgesellschaftliche und staatliche Akteure am 25.11. zur Teilnahme am Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen auf. Wir blicken zurück auf ein erfolgreiches Jahr für den Gewaltschutz in Brandenburg. Sorgen bereitet jedoch der Blick in die Zukunft: Angesichts eines erstarkenden Antifeminismus müssen die erreichten Zwischenziele mit vereinten Kräften krisenfest abgesichert werden, um der gesellschaftlichen Spaltung entgegenzutreten.
Gewalt geht uns alle an
Wir alle hier kennen die Zahl: Jede 3. Frau erlebt in ihrem Leben Gewalt. Weder im öffentlichen Raum, noch im eigenen Zuhause sind Frauen sicher vor Gewalt. Frauen erleben körperliche und sexualisierte, aber auch andere Formen von Gewalt wie Beleidigungen, Beschimpfungen, Demütigungen.
Es passiert jeden Tag. Doch wir dürfen es nicht einfach als etwas Alltägliches hinnehmen.
Es kostet Kraft: aber wir müssen weiter hinsehen, wir müssen weiter darüber sprechen, wir müssen wiederholen, was schon so oft gesagt wurde, bis es alle gehört und verstanden haben, bis zur Beseitigung von Gewalt gegen jede einzelne Frau.
Daher noch einmal: Jede 3. Frau erlebt in ihrem Leben Gewalt. Gewalt ist nicht geschlechtsneutral. Gewalt ist nicht privat. Gewalt geht uns alle an.
Linda Weiß, FPR-Sprecherin: „Nicht nur heute gilt es hinzuhören und hinzuschauen, denn jede dritte Frau in Deutschland erfährt in ihrem Leben sexualisierte Gewalt. Das kann jede dritte unserer Nachbarinnen, jede dritte unserer Freundin und jede dritte unserer Verwandten sein. Bitte teilt die Nummer des Hilfe-Telefons 08000 116 016!“
Rückblick: Ein erfolgreiches Jahr?
Jedes Jahr zum 25.11. lenken wir den Blick der Öffentlichkeit auf die unverändert erschreckend hohen Zahlen: 2022 erfasste die Polizei Brandenburg 5.853 Fälle häuslicher Gewalt. Ungezählt bleiben tausende nicht polizeilich angezeigte Fälle. Die Verbesserung des bedingungslosen Schutzes der Betroffenen ist dringlicher denn je.
Doch in diesem Jahr können wir in Brandenburg auch auf gemeinsam Erreichtes in den vergangenen 12 Monaten zurückblicken: Starke zivilgesellschaftliche Institutionen wie der FPR und das NbF konnten gemeinsam mit der Brandenburger Landespolitik und –verwaltung viel erreichen:
- Das Land Brandenburg hat die Abschaffung der Nutzungsentgelte für Gewaltbetroffene ermöglicht und Mittel für eine Tarifangleichung der Löhne der Mitarbeiter*innen freigegeben.
- Verwaltung und Zivilgesellschaft arbeiten an dem Landesaktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und ihre Kinder, und es wurde ein neues Mantelgesetz zur Verhinderung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt auf den Weg gebracht.
- Es gibt eine Landeskoordinierungsstelle zur Umsetzung der Istanbul Konvention beim Ministerium und
- die Kontaktstelle der zivilgesellschaftlichen Akteur*innen zur Umsetzung der Istanbul-Konvention – KIKO Brandenburg – befindet sich im Aufbau.
Blick in die Zukunft: Wir brauchen Absicherung!
Als Feminist*innen wissen wir: Unsere hart erkämpften Errungenschaften sind nicht gesichert, wenn sie nicht auf allen Ebenen verankert sind und gegen Angriffe verteidigt werden. Frauenprojekten wird oft zuerst das Geld gestrichen, Angriffe gegen weibliche und trans Politiker*innen und Aktivistinnen nehmen zu, das gesellschaftliche Klima wird rauer.
Michaela Rönnefahrt, Mitarbeiterin des Frauenhauses Neuruppin und Vorstandsfrau des NbF e.V. mahnt: „Antifeminist*innen auf der Straße und in der Politik stehen in den Startlöchern, um unsere erreichten Ziele auszuhöhlen. Wir spüren ein Anwachsen des Hasses und eine Delegitimierung feministischer Anliegen. Egal ob es um partnerschaftliche Gewalt, Homo- und Transfeindlichkeit oder Rassismus und Antisemitismus geht: Schutzräume und Beratungsstrukturen müssen frei von politischen Konjunkturen Bestand haben. Sie sind mitunter überlebenswichtig für Menschen.“
Den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu wahren, sich Gewalt und Diskriminierung entgegenzustellen ist eine Aufgabe für uns alle, es ist aber auch eine staatliche Verpflichtung. Deswegen appellieren wir an alle zuständigen Stellen: Sorgen Sie dafür, dass errungene Fortschritte gesichert und verfestigt werden. Stellen Sie sich mit aller Kraft gegen eine Rückwärtsrolle unserer Gesellschaft, damit wir demokratisch, diskriminierungs- und gewaltfrei miteinander leben können.
Jana Dornfeld, Geschäftsführerin des FPR: “Wir müssen gemeinsam und entschlossen jeder Form der Gewalt gegen Mädchen und Frauen entgegentreten. Auch spezifische Gewaltformen wie die Gewalt vor, während und nach der Geburt müssen stärker in den Fokus rücken. Darüber hinaus ist die Gewaltprävention z.B. durch Mädchen*arbeit von enormer Bedeutung und muss dringend gestärkt werden. Dabei sind wir auch auf die Bundesebene angewiesen: Wir brauchen verlässliche Finanzierungsmodelle, um den Gewaltschutz in Brandenburg langfristig auf stabile Füße zu stellen und antifeministischen Bewegungen entgegenzutreten!”
Eine wichtige konkrete Maßnahme ist die Fortführung des Bundesinvestitionsprogramms “Gemeinsam Gegen Gewalt an Frauen” über 2024 hinaus. In den Bundeshaushalten sind entsprechend angemessene Mittel für die Förderung investiver Maßnahmen zum Um-, Aus- und Neubau sowie der Sanierung von Hilfseinrichtungen vorzusehen.
In den Blick nehmen: Gewalt in der Geburt und Mädchen*arbeit zur Prävention
Tatjana Geschwendt, Sprecherin im FPR: „Auf Gewalt in der Geburtshilfe muss als eine Form der Gewalt gegen Frauen anerkannt werden. Dafür bedarf es eines Bewusstseins in der Politik und Öffentlichkeit.“
Gewalt an Frauen ist vielfältig und wir appellieren, auch spezifische Formen als solche anzuerkennen: Zum Beispiel Gewalt unter der Geburt. Wir sind verpflichtet die Istanbul-Konvention umzusetzen – auch in der Geburtshilfe. Die Stärkung von Kinder- und Frauenrechte umfasst auch die Schwangerschaft und Geburt. Es ist eine der sensibelsten Phasen des Lebens und dennoch berichten viele Frauen von Gewalterfahrungen während der Zeit der Schwangerschaft, der Geburt oder im Wochenbett. Frauen und Kinder werden in ihren Persönlichkeitsrechten und in ihrer Selbstbestimmung stark eingeschränkt und ihre Menschenrechte verletzt durch unnötige medizinische Interventionen und Trennungen.
Die WHO empfiehlt Maßnahmen zur „Vermeidung und Beseitigung von Geringschätzung und Misshandlung bei Geburten in geburtshilflichen Einrichtungen“. Diese sind durch die Istanbul-Konvention unumgänglich umzusetzen, um Frauen mit ihren Kindern vor individueller, struktureller und systemischer Gewalt zu schützen. Vereinzelte Lösungsansätze gibt es: Eltern-Zimmer, Babycams, Traumasensibles Arbeiten, Supervision und Selbsterfahrung in der Ausbildung, die Erhebung von Daten über geburtshilfliche Gewalt und begleitende wissenschaftliche Studien, Melde- und Beratungsstellen für Betroffene. Diese müssen flächendeckend etabliert werden und dies kann nur gelingen, wenn Gewalt unter der Schwangerschaft oder Geburt auch als solche anerkannt wird.
Auch stärker in den Blick nehmen sollten wir die präventive Rolle der Mädchen*arbeit.
Bianca Strzeja, Projektleiterin der Kontakt- und Koordinierungsstelle Mädchen*arbeit im Land Brandenburg (KuKMA): „Mädchen*arbeit war und ist ein effektives pädagogisches Konzept, um Mädchen* zu empowern, ihre Positionen zu festigen, ihre Selbstbestimmung zu fördern, ihren Wissens- und Erfahrungshorizont zu erweitern sowie Schutz- und Experimentierräume für sie zu schaffen. Das und vieles mehr, was die Kolleginnen der Mädchen*arbeit leisten, dient insbesondere der Gewaltprävention.“
Daher brauchen wir dringend mehr geschlechtersensible Angebote für Jugendliche, um die Angebote der Gewaltprävention in diesem vulnerablen Alter zu stärken.
Ein Appell
Mit Blick auf die gesellschaftliche Stimmung und besorgniserregende antifeministische Tendenzen appellieren wir als Landesfrauenrat: Gewaltschutz und Gleichstellung sind nur möglich mit einer starken Zivilgesellschaft, unterstützt von demokratischen Kräften im Landtag – wir werden alles dafür tun, dass wir weiterhin in einem bunten, toleranten – und gerne noch feministischeren Brandenburg aktiv sein können!
Hintergrund
In der „Lagedarstellung häusliche Gewalt“ des Landeskriminalamtes Brandenburg sind für das Jahr 2022 insgesamt 5.853 Straftaten (2021: 5.887 Fälle) im Zusammenhang mit Häuslicher Gewalt erfasst, davon 4.078 Partnerschaftsgewalt und 1.862 Fälle innerfamiliärer Gewalt. Das ist ein Rückgang von lediglich 0,6 % im Vergleich zum Vorjahr. Das Niveau ist mit jährlichen Schwankungen über einen Zeitraum von 10 Jahren allerdings tendenziell steigend. Die Statistik weist auch aus, dass mit über 70% weiterhin vor allem Frauen betroffen sind und zu 75% Männer die Tatverdächtigen sind. In der Polizeistatistik sind in Brandenburg im Jahr 2022 fünf Todesopfer im Kontext häuslicher Gewalt erfasst (2021: sieben Opfer). Dabei handelt es sich ausschließlich um Femizide (2021: sechs weibliche Opfer, ein männliches Opfer). Alle fünf Frauen wurden von ihren Partnern getötet.
Derzeit stehen für gewaltbetroffene Frauen in Brandenburg nur rund die Hälfte der Schutzplätze zur Verfügung, die die Istanbul Konvention (Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt) eigentlich vorschreibt. Besonders fehlen Schutzeinrichtungen und Beratungsstrukturen, die spezialisiert sind auf die immer komplexer werdenden Problemlagen gewaltbetroffener Frauen wie beispielsweise die Verschränkungen von psychischen Erkrankungen, Sucht, Überschuldung, rassistischer und/ oder homo- und trans*feindlicher Diskriminierung sowie der steigenden digitalen Gewalt.
Weitere Informationen
16 Aktionstage gegen Gewalt an Frauen
Um auf die strukturelle Gewalt gegen Frauen aufmerksam zu machen, schließt sich das Netzwerk der brandenburgischen Frauenhäuser der internationalen Kampagne „16 Aktionstage gegen Gewalt an Frauen“ an. Diese wurden im Jahr 1991 vom Center for Women’s Global Leadership der Rutgers University initiiert. Inzwischen werden die 16 Aktionstage auch von der UNO unterstützt. Die 16 Aktionstage gegen Gewalt finden jährlich zwischen dem 25. November und 10. Dezember statt. Damit schaffen sie eine Verbindung zwischen dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen und dem Internationalen Tag der Menschenrechte. Weltweit beteiligen sich an der Aktion mehr als 6000 Organisationen in 187 Ländern.