Erste Eindrücke von der landesweiten Auftaktveranstaltung der 32.Brandenburgischen Frauenwochen 2022
Nur wenige Autostunden von hier entfernt herrscht Krieg in der Ukraine. Klingt unser Motto „Gehen oder bleiben“ vor diesem Hintergrund nicht zynisch? Hunderttausende Menschen haben diese Wahl nicht oder sie stellt sich ihnen in viel dramatischer Art und Weise: Weil sie bleiben wollen aber flüchten müssen, flüchten wollen aber bleiben müssen oder weil sie sich schweren Herzens entscheiden zu fliehen oder unter widrigsten Umständen entscheiden zu bleiben.
Trotzdem haben wir uns entschlossen, die Frauenwochen stattfinden zu lassen. Auch weil die Fragen nach Sicherheit, nach Zukunftsperspektiven und nach Träumen, die wir mit diesem Motto ansprechen wollten, ja weiter besprochen werden müssen. Auch um zu fragen: Wie kann man den Menschen, die jetzt kommen, ermöglichen zu bleiben und in Sicherheit zu leben?
Die Frage, ob man lieber geht oder bleibt, hat sich wohl jede Frau schon einmal im Leben gestellt. Mehr Zeit für Familie und pflegebedürftige Angehörige oder mehr Arbeitszeit, um sich beruflich zu entwickeln und im Alter finanziell abgesichert zu sein?
Als wäre das nicht schwer genug: Viele Frauen kommen in der Pandemie an den Rand ihre Belastungsgrenzen, da der gestiegene Bedarf an unbezahlter Sorgearbeit größtenteils von ihnen abgedeckt wird.
Die Frage „Gehen oder Bleiben?“ stellen sich auch Frauen in gewaltvollen Partnerschaften, bei schlechter Bezahlung, bei geringer Wertschätzung im Beruf oder bei Sexismus in der Politik.
Frauen leiden unter rassistischen Strukturen und der Diskriminierung von queeren Lebensweisen. Unser Motto „Gehen oder Bleiben?“ wirft also mit einer einzigen Frage ganz viele Fragen aus verschiedenen Lebensbereichen auf.
In der Lausitz fragen sich heute vor allem jungen Frauen, ob im Strukturwandel überhaupt Perspektiven für sie vorgesehen sind. Viele beantworten diese Frage, in dem sie gehen. Deshalb sind wir mit der landesweiten Auftaktveranstaltung sehr bewusst hier in der Lausitz. Aber Senftenberg steht auch stellvertretend für die anderen Städte und Gemeinden in Brandenburg.
Um bestimmte Ausbildungen zu erhalten, müssen Frauen woanders hin, finden dort Freund*innen, Liebe, und berufliche Zukunft und kommen ggf. nicht mehr zurück. Die Frauen fehlen dann. Deshalb gucken wir genauer hin: Warum kommen nur wenige zurück?
Hier werden durch den Generationenwechsel viele Führungspositionen frei, die noch immer eher von Männern besetzt werden. Als zentrales Problem erkennen wir, dass junge Frauen zu wenig Gehör finden. Schauen wir uns allein die Gremienbesetzung an: In der Lausitzkommission sind nur 3 Frauen im 9- köpfigen Gremium. Und im Begleitgremium mit 24 Mitgliedern sind es 5 Frauen.
Dagegen hat sich das Frauennetzwerk FwieKraft gegründet. Austausch und gegenseitige Unterstützung stehen hier im Mittelpunkt. Hier geht es auch darum zu zeigen, was Frauen schaffen. Die Sozialwissenschaftlerin Dr. Julia Gabler hat gezeigt, dass Dörfer, in denen der Frauenanteil relativ hoch ist, eine offenere Struktur haben: alternativer Kindergarten, Kirchengemeinschaft, Kulturcafés, Kinos etc. Orte, wo Frauen aktiv sind, sind lebendiger und haben mehr Zuzug. Frauen schaffen nachhaltigen Bedingungen, die Menschen zum Leben brauchen.
Wir fragen uns was sich ändern muss damit Frauen bleiben und was sich ändern kann, wenn sie bleiben. Ohne Frauen funktioniert gesellschaftliches Zusammenleben nicht. Alle Menschen sind verantwortlich dafür, diese Probleme zu bearbeiten.
Ein Strukturwandel wie hier in der Lausitz muss sich daran messen lassen, wie weit er auch die weibliche Perspektive einnehmen, der Abwanderung von Frauen etwas entgegensetzen und Perspektiven für mehr Lebensqualität schaffen kann.
Unser Motto „Gehen oder Bleiben?“ legt den Fokus auf die Handlungsmacht von Frauen. Gleichwohl: Gehen oder Bleiben schließen sich nicht aus. Lasst uns gehen und bleiben! Lasst uns in Bewegung bleiben – nicht im Sinne von weggehen, sondern im Sinne von hingehen
-hin zu einer auskömmlichen Altersvorsorge
-hin zu gerechter Bezahlung
-hin zu einer ausreichenden Versorgung mit Gewaltschutzräumen für Frauen und Mädchen
-hin zu einer Gesellschaft, in der Sorge-Arbeit als das anerkannt wird, was sie ist: unabdingbar.
Hin zu geschlechtergerechten Gesellschaften in Europa
Text: Auszug aus der Begrüßung von Verena Letsch vom Frauenpolitischen Rat Land Brandenburg e.V.
Fotos: Simone Ahrend, sah-photo.de