Einander stärken statt nur „nicht motzen“

Werdende Hebamme zu sein ist meistens schön. Meistens auch anstrengend und das meistens auf eine gute Art und Weise. Seit fünf Semestern erlerne ich den Hebammenberuf im Rahmen eines Bachelorstudiums. Nach acht Semestern sind das Staatsexamen und ein Bachelor of Science hoffentlich in meiner Tasche und vor allem in meinem Kopf. Meine Hände geschult, aber bereit, noch mehr und mehr dazuzulernen.

Vielfalt ist Alltag für Hebammen

Vor ein paar Wochen habe ich mein letztes Externat, ein vorgeschriebenes Praktikum bei einer freiberuflichen Hebamme in Potsdam beendet. Vier Wochen erhielt ich Eindrücke von Wochenbettbesuchen bei Müttern zu Hause, Schwangerenvorsorge und Planungen von Hausgeburten. Ich konnte viel  sehen, fühlen, zuhören, üben, nachdenken. Denn die Hebammenarbeit ist auch immer eine Auseinandersetzung mit sozialen Situationen, gesellschaftlichen Normen und kultureller Vielfalt. Hebammen setzen sich auf schicke Designersofas und auf Küchenstühle aus dem Sozialkaufhaus. Manchmal sehen Hebammen im Bücherregal Kinderbücher oder Reclam-Hefte, manchmal den Koran oder Bücher über die Waffen-SS und manchmal gibt es kein Bücherregal. Und wenn die Hebamme zum Wochenbettbesuch kommt, bekommt sie vielleicht ein Leitungswasser angeboten oder auch ein Tablett mit Tee, Pistazien, Maulbeeren, Kürbiskernen und Trauben. Die betreuten Frauen haben noch kein Kind, schon zwei Kinder, oder schon fünf Kinder. Sie tragen ihre Haare als Bob, dunkelbraun, geflochten, pink oder im wilden Dutt. Manche tragen auch im Wochenbett Jeanshose und Bluse, manche ein angesabbertes Nachthemd.

Gedanken über soziale Gerechtigkeit, die unterschiedlichen Chancenverteilungen und Rollenverteilungen sind aus der Vielfalt der betreuten Familien heraus oft präsent. Daraus ergeben sich Überlegungen, wie man Situationen als Hebamme besser für die Frauen und Partner*innen gestalten kann, sie unterstützen kann. Denn Unterstützung hier und da brauchen alle von Hebammen betreuten Familien,  egal welcher Herkunft sie sind, welche Rollenbilder oder Gesundheitskonzepte sie pflegen. Manchmal sind das ganz konkrete Hilfen, wie beispielsweise Tipps und Tricks zur Nabelpflege. Oder weniger konkrete Unterstützung, die über die kommunikative Ebene geteilt wird. Auf eine dieser Unterstützungsmöglichkeiten möchte ich, aufgrund ihrer universellen Einsetzbarkeit, im Folgenden eingehen.

Zuspruch und Anerkennung als kleine Helden des Alltags

In einer Vorlesung zu Kommunikation und Verhaltensprävention haben wir gelernt, was eine „Affirmation“ ist. In unserem Kontext ist es eine bekräftigende, lobende, positiv wertende Aussage oder Anerkennung einer Person zur anderen. Die Hebamme sagt also zum Beispiel zur betreuten Frau: „Das hast du gut gemacht!“. Wir werdenden Hebammen sollten dann eine Übung dazu machen und fühlten uns dabei etwas auf den Arm genommen. Es hatte etwas Ironisches, weil es so erzwungen und künstlich war und Pseudo-Komplimente auf Knopfdruck irgendwie nicht sinnig erschienen. Ein Lob, eine Bestärkung soll ja ehrlich und herzlich sein und nicht abgelesen, gelernt.

Als ich dann aber im Externat der Hebamme zuhörte und diese Sätze wie „Das machst du ganz wunderbar“ zur Frau oder zum Kind „Da hat dein Papa dich aber schön gewickelt“ ganz ehrlich gemeint an den richtigen Stellen platzierte, erkannte ich den Sinn darin. Alle Eltern, Frauen, Partner*innen freuten sich. Mal stiller, mal lächelnder. Viele waren überrascht, aber gestärkt durch diese einfachen Worte und trauten sich dann oft mehr zu oder waren beim nächsten Wickeln viel entspannter. Auch ein bisschen Stolz mischte sich in die Reaktionen. Das brachte mich wiederum zum Nachdenken und ich gelangte zu dem Schluss, dass viele Frauen, gerade um die Geburt herum wohl zu wenig „Affirmation“ für das, was sie leisten, bekommen. Sie hören Sätze wie „herzlichen Glückwunsch zur Geburt“ und „das Baby ist ja richtig süß“, „wir haben dem Baby ein schönes Kuscheltier mitgebracht“. Aber eher nicht: ‚‚Herzlichen Glückwunsch, dass du so eine tolle Frau bist! Wir sind stolz auf dich und  haben dir einen stärkenden Wochenbett-Eintopf gekocht‘‘.

Und mit der Zeit formte sich die Frage, ob sich Eltern, Frauen viel mehr zutrauen würden, wenn sie öfter Zuspruch erführen.

Auch ich merke das während meiner praktischen Ausbildung: Lob für gut gemachte Arbeit von Hebammen im Kreißsaal ist eher mäßig gesät und wenn mal eine positive Rückmeldung kommt, dann fühle ich mich für die nächste, gleichartige Situation besser vorbereitet und gestärkt. Oder im Wochenbett: Eltern wickeln zum ersten Mal das Erstgeborene. Das ist meist eine unsichere, zittrige Angelegenheit. Noch ist das Baby so klein, wird als zerbrechlich empfunden und fühlt sich meist, ganz nackt und umhüllungslos, nicht so wohl auf dem Wickeltisch. Eine Elternhand auf dem kleinen Oberkörper später und von bekannten Stimmen besäuselt, ist das dann schon alles viel besser und wenn die Hebamme dann noch ein paar stärkende Worte platziert, klappt das nächste Wickeln schon viel entspannter und sicherer.

Unterstützt durch ehrliche Worte und mit Anerkennung für seine Tätigkeiten kann man, ob als werdende Hebamme oder betreute Frau besser an seinen Aufgaben wachsen. Deshalb bin ich dazu übergegangen auch im Alltag Menschen in meinem Umfeld bewusster zu danken oder Komplimente auszusprechen. Denn: „Net g’motzt isch au g’lobt“ (nicht gemotzt ist auch gelobt), wie man da sagt, wo ich aufgewachsen bin, das stimmt einfach nicht. Mit bewusster Wertschätzung kann meiner Meinung nach viel für ein gutes Zusammenleben und Entwickeln getan werden. Durch gegenseitige Unterstützung wachsen, gerade unter Frauen ist das wichtig.

Solche Nachdenkereien und Ideen, die sich durch das Arbeiten als Hebamme entwickeln sind es, die mich immer noch mehr für den Beruf begeistern. Gründe zu finden, warum man gerne Hebamme wird, die man sich vor dem Beginn des Lernens noch nicht einmal hätte ausdenken können. Das Finden und Umsetzen von Möglichkeiten, Frauen zu stärken und sich selbst auch.

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Text: Dorothea Schöneberg

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