Ein persönlicher Rückblick und die Frage, ob Utopien noch realistisch sind

Posted by on Mrz 15, 2015 in Allgemein

Foto: Mike Lösche/pixelio.de

Von Marina Grasse. Am 3. Oktober 1990 war meine fünfmonatige Tätigkeit als Gleich-stellungsbeauftragte der ersten und letzten frei gewählten DDR-Regierung beendet. Ich hatte in dieser Zeit als Gleichstellungsbeauftragte durchaus schmerzhaft lernen müssen, dass es auch mit großem frauen- und gleichstellungspolitischem Engagement innerhalb der politischen Legislative wie Exekutive kaum gelingen kann, frauen- und gleichstellungspolitische oder gar feministische Zielstellungen in die politische Agenda einzubringen, geschweige denn politisch durchzusetzen, wenn es nicht den Druck aber auch die Unterstützung durch eine breite, sichtbare, laute und wirkungsmächtige autonome Frauenbewegung außerhalb der politischen Institutionen und Gremien gibt.

2011 - Demonstration - Stop violence

Die Idee, im Land Brandenburg eine Frauenwoche und Fotoausstellung unter dem Motto „Sind wir das?“ zu organisieren, wurde im Dezember 1990 in einem Gespräch im Potsdamer Büro der damaligen Staats-sekretärin im MASGF Ingrid Kurz Scherf, geboren. Wir wollten für eine Woche öffentliche Räume schaffen bzw. nutzen, um Branden-burgerinnen miteinander, mit Politikerinnen und auch mit frauenbewegten Westfrauen ins Gespräch zu bringen über die Themen, die sie umtrieben. Es sollten Formen der Selbstorganisation und eigenständigen Interessenvertretung von Frauen vorgestellt und diskutiert werden.

Und wie sieht es heute, nach 25 Jahren aus?

Seit 1990 entstanden im Land Brandenburg viele staatliche Strukturen und nichtstaatliche Einrichtungen, die mit ihrer Arbeit zur geschlechtergerechten Chancengleichheit und Unterstützung von Frauen beitragen sollen und auch beitragen. Es gibt gesetzliche – und durchaus noch zu verbessernde – Grundlagen für die Bestellung und Arbeit von kommunalen Gleichstellungsbeauftragten. Es gibt eine vielfältige Vereinsstruktur und Vernetzung, es gibt eine vielfältige, bunte Projektlandschaft. Es gibt staatliche Förderprogramme und Fördergelder – allerdings in abnehmendem Umfang.

Viele Gleichstellungsbeauftrage kämpfen seit Jahren für mehr Mitsprache- und Mitentschei-dungsrechte, für eine ihren Aufgaben entsprechende Personal- und Mittelausstattung. Nicht selten umfasst ihre Beauftragung nicht nur Frauen- und Gleichstellungspolitik, sondern auch noch andere Bereiche – ohne dass hierfür auch die notwendigen Ressourcen bereitstehen.

FPR-faltplakat-2015

Vereins- und Projektefrauen arbeiten in prekären Arbeitsverhältnissen, im Niedriglohnsektor oder mit Fördergeldern seitens der Arbeitsagentur oder des Jobcenters. Viele engagieren sich ehren-amtlich. Alle kämpfen immer wieder auf’ s Neue um Projektmittel.

Viele hoch engagierte Frauen, die sich Anfang der 1990er Jahre für ein aktives frauen- und gleichstellungspolitisches Engagement entschieden, gehören heute zur älteren Generation. Ihre Kräfte sind oft aufgezehrt, sie sehen zweifelsohne auf erreichte Erfolge zurück – ABER auch auf enttäuschte Hoffnungen und Erwartungen und die Erfahrung, dass das Entstehen einer neuen, lautstarken, wirkungsmächtigen und generationsübergreifenden Frauenbewegung über alle Partikularinteressen hinweg in all den Jahren nicht gelungen ist. Diese Erfahrung ist allerdings nicht spezifisch für das Land Brandenburg.

Ein persönliches Resümee: Es ist an der Zeit …

Aus meiner Perspektive ist offensichtlich, dass es an der Zeit ist, sich kritisch und selbstkritisch mit den Wirkungen bundesweit gängiger Instrumentarien der Frauen- und Gleichstellungs-politik auseinanderzusetzen. Dies gilt sowohl für die Wirkungsmächtigkeit und damit die politische Veränderungsmacht der institutionalisierten Frauen- und Gleichstellungspolitik wie auch für die weitgehend von Fördertöpfen abhängig gewordene Vereins- und Projekte-landschaft.

Diese Auseinandersetzung braucht viel Mut, denn es gilt, unterschiedliche Perspektiven, Kontroversen und auch Konflikte zwischen uns, als frauenbewegte Aktivistinnen mit unseren verschiedenen Sozialisationen, sozialen Hintergründen, Lebensvorstellungen und Lebensweisen, Orientierungen auszutragen und auszuhalten.

Halten wir inne, um uns selbst zu befragen, in welche Richtung wir weitergehen wollen.

Fragen wir uns selbst, fragen wir unsere Freundinnen, Mitstreiterinnen, Schwestern, Töchter, Mütter, Nachbarinnen und auch unsere „Widersacherinnen“: „Wie soll die Gesellschaft aussehen, in der wir leben wollen und in der uns nachfolgende Frauengenerationen in Frieden, Gerechtigkeit und in einer Wirtschaftordung leben, die die natürliche Umwelt bewahrt.

Woran wollen wir als Frauen mit all unserer Verschiedenheit gleichberechtigt beteiligt sein? Wollen wir in einer Gesellschaft leben, in der wir gezwungen sind, immer länger, mehr und „effizienter“ zu arbeiten, damit wir an der Konsumgesellschaft teilhaben können?

Wollen wir tatsächlich gleichberechtigt mitmachen, mitwirken an einer patriarchal und neoliberal ausgerichteten Weltordnung, die die Kluft zwischen den wenigen Reichen und den vielen Armen immer weiter vertieft, die Menschen zwingt, ihre Heimat zu verlassen, unsere natürlichen Lebensgrundlagen zerstört und die nicht davor zurückschreckt, ihre nationalen oder auch regionalen Machtinteressen und Einflusssphären (notfalls) auch mit Waffengewalt durchzusetzen?

Wollen wir uns – wie so oft in der Geschichte – benutzen lassen, um mit hohem Krafteinsatz die schmerzhaften Folgen systemischer, geschlechtsspezifischer Gerechtigkeitsdefizite und Machtungleichheiten etwas zu lindern? Glauben wir, egal welcher Generation wir angehören, tatsächlich, dass es keine gesellschaftlichen Alternativen gibt?

Marina Grasse, OWEN e. V.
www.owen-berlin.de

Foto 1: Simone Ahrend, sah.photo, Foto 2 – Plakatmotiv: Ute Mahler

Die PDF mit dem gesamten Text von Marina Grasse finden Sie hier: 25 Jahre Brandenburgische Frauenwoche