Die Krise in der Krise – Gewalt gegen Frauen und die Corona-Epidemie
Ein Interview mit Dr. Bärbel Uhl, Referentin für Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit des Netzwerks der Brandenburgischen Frauenhäuser e.V., zur Situation der Frauenhäuser in Brandenburg zur Zeit der Corona-Pandemie
Frau Dr. Uhl, durch Quarantäne und finanzielle Sorgen entsteht Stress, der häusliche Gewalt auslösen oder verschlimmern kann. In derart harten Zeiten mit Kontaktsperren, Quarantäne, geschlossenen Schulen und Kindergärten gelingt es den Opfern von häuslicher Gewalt seltener, telefonisch Hilfe zu holen. Was empfiehlt das Netzwerk den Betroffenen?
Wir stehen ja noch am Anfang der Pandemie und haben zurzeit noch nicht genug Informationen darüber, wie sich die Maßnahmen auf die Situation von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt auswirken. Die Ausgangsbeschränkungen, mit denen eine Begrenzung sozialer Kontakte einhergeht, können dazu führen, dass Betroffene von häuslicher Gewalt ihre Situation nur schwer kommunizieren können. Das Gespräch mit der Freundin, der Lehrerin oder Erzieherin fällt weg, das helfen könnte, die Situation zu sortieren und Hilfe zu suchen. Häusliche Gewalt und Gewalt gegen Frauen war jedoch auch vor der Pandemie in unserer Gesellschaft ein weit verbreitetes, schwerwiegendes Kriminalitätsfeld, das – laut BKA-Lagebild von 2018 – dazu führt, dass an jedem 3. Tag in Deutschland eine Frau aufgrund von Partnerschafts- oder Expartnerschaftsgewalt getötet wird. Wir sollten es als eine massive Bedrohung der Inneren Sicherheit verstehen und entsprechend politisch handeln, und zwar vor, während und nach der Pandemie.
Es ist wichtig, dass wir als Netzwerk den Betroffenen von Gewalt niederschwellige und langfristige Hilfe anbieten können. Aufgrund der lückenhaften Finanzierung von Schutzstrukturen ist das in der Praxis sehr herausfordernd.
Der Ausbruch des neuartigen Coronavirus verschärft die ohnehin schon schwierige, finanzielle und personelle Situation vieler Frauenhäuser und Beratungsstellen, weil der Infektionsschutz dazukommt. Wie ist die Situation der Hilfsangebote in Brandenburg?
Die Mitarbeiterinnen in den Frauenhäusern sind auf der einen Seite krisenerprobt und erfahren darin, sich in immer wieder neu ergebenden Stresssituationen anzupassen. Diese Professionalität ist auch jetzt während der Pandemie sehr hilfreich. Aufgrund der begrenzten Räume in den Frauenhäusern sind Abstandsregelungen jedoch schwierig einzuhalten, dazu kommen noch die fehlenden Schutzausrüstungen und Desinfektionsmittel. Die Mitarbeiterinnen in den Frauenhäusern sind täglich der Gefahr ausgesetzt, sich während der Arbeit selbst anzustecken. Ein effektives, gemeinschaftliches Handeln der zuständigen Behörden auf kommunaler und Landesebene wäre wünschenswert, um die Schutzstandards in den Frauenhäusern zu gewährleisten.
Werden die Hilfsangebote in Brandenburg genügend von öffentlichen Stellen bei der Bewältigung der Krise unterstützt? Was wird dringend gebraucht?
Wir stehen in guter Kommunikation mit dem MSGIV und auch mit der Legislative. Wir informieren das Ministerium in einem wöchentlichen Lagebericht darüber, ob die Anfragen für Beratungen und Schutz ansteigen, welche Maßnahmen und auch Materialien benötigt werden, damit die Frauenhäuser alle gewaltbetroffenen Frauen und Kinder beraten und schützen können. Dringend benötigt wird weiterhin ein Personalschlüssel, der alle vielfältigen Tätigkeiten der Frauenhausarbeit abdecken kann: Begleitungs- und Beratungsarbeit, Rufbereitschaft 24/7, professionelle Sprachmittlung, Präventions- und Vernetzungsarbeit, psychosoziale Arbeit mit Kindern und die Bereitstellung von Alternativunterkünften und geschultes Personal, wenn ein Frauenhaus aufgrund von Quarantäne-Maßnahmen keine Betroffenen mehr aufnehmen kann.
Frau Dr. Uhl, die Aufmerksamkeit, die das Thema häusliche Gewalt gerade bekommt, ist eine große Chance, Gewalt einzudämmen, an die sich die Gesellschaft vor Corona gewöhnt zu haben schien und die kleingeredet wurde. Was meinen Sie, worauf muss in der nächsten Zeit der Fokus gesetzt werden?
Frauenschutzeinrichtungen wurden sowohl durch die brandenburgische Landesregierung als auch durch das Bundesfamilienministerium als ‚systemrelevant‘ eingestuft. Wir sollten darauf achten, dass diese ‚Systemrelevanz‘ sich auch in eine entsprechende Finanzierung übersetzt. Ein flächendeckendes Gesetz für den Gewaltschutz ist lange überfällig und sollte endlich umgesetzt werden. Das erfordert übrigens auch die Istanbul-Konvention, die von Deutschland ratifiziert wurde.
Apropos Systemrelevanz: Es ist eine interessante Erfahrung, dass unsere westlichen Gesellschaften, deren wirtschaftliche und soziale Aktivitäten auf das Nötigste reduziert wurden, um die Ausbreitung der Pandemie zu verlangsamen, augenscheinlich auf alle hochbezahlten Jobs verzichten können, nicht jedoch auf die gering-, und untertariflich bezahlten Tätigkeiten, die vor allem durch (migrantische) Frauen ausgeübt werden: Kassierer*innen, Erntehelfer*innen, Pfleger*innen, um nur einige zu nennen.
Wir sollten jetzt schon Visionen entwickeln und formulieren für die Welt nach der Corona-Pandemie: eine geschlechtergerechte politische Teilhabe und Chancengleichheit in allen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereichen. Nur unter diesen Vorzeichen können wir auch der epidemischen Verbreitung von häuslicher Gewalt / Gewalt gegen Frauen und Kindern etwas entgegensetzen!
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Das Interview führte Heiderose Gerber, Geschäftsführerin des Autonomen Frauenzentrums Potsdam e.V. und Sprecherin des Frauenpolitischen Rates Land Brandenburg e.V.