Die Frau, das Netz und der Hass

Posted by on Aug 29, 2018 in Allgemein

Die ehemalige österreichische Abgeordnete Sigi Maurer erhielt sexistische, übergriffige Nachrichten von einem Ladenbesitzer und veröffentlichte diese. Nun soll sie sich dafür vor Gericht verantworten, da sie damit dem Geschäft des Mannes geschadet hätte[1]. Vermutlich wird er sogar Recht bekommen, aber was sagt das über diese Gesellschaft aus, und was macht es mit Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen und immer wieder zur Zielscheibe von Sexismus und unerwünschten sexualisierten Nachrichten werden?

Die Nachrichten des Ladenbesitzers, der sie auf der Straße gesehen hat, handelten von seinen Sexfantasien mit ihr. Dabei beschrieb er nicht nur was er gerne mit ihr tun würde, und objektivierte die Abgeordnete damit, er spricht auch über ihren „dicken Arsch“. Nun kann man das als eine grobe Geschmacklosigkeit abtun und mal wieder behaupten, die Frau habe überreagiert. Allerdings erleben wir gerade zum einen, dass Frauen in ihrer Repräsentanz in der Politik zurückgedrängt werden: Wir haben einen so geringen Frauenanteil im Bundestag wie seit den 90er Jahren nicht mehr, in Landes- und Kommunalparlamenten ist er noch geringer. Auch in anderen Machtpositionen sind Frauen immer noch stark unterrepräsentiert. Zum anderen nimmt durch die Anonymität des Internets und die einfache Kontaktaufnahme die Bedrohung von Frauen durch sexistische, herabwürdigende Nachrichten und Kommentare zu.

Natürlich erfahren auch Männer, die in der Öffentlichkeit stehen, Anfeindungen und werden bedroht, dennoch gibt es geschlechterspezifische Besonderheiten. Die Herabwürdigung bei Frauen bezieht sich nämlich verstärkt auf ihr Frausein – bei einem Mann eben seltener auf sein zugeschriebenes Geschlecht. Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, werden oft für ihre Äußerlichkeiten, ihren Köper oder „frauentypische“ Zuschreibungen beleidigt. Das vermeintliche Fehlen von Attraktivität ist beispielsweise eine beliebte Art Frauen anzugreifen als „nicht fickbar“, „hässlich“ und als „Bratze“. Dabei fehlt es oft an jedem Zusammenhang zu dem eigentlichen Inhalt des von der Frau bekleideten Mandats oder dem, was sie im Internet veröffentlicht hat. Damit werden nicht nur vorrangig Sexismen bedient, sondern auch die Identität und das Selbstbewusstsein einer Frau sind abhängig von ihrer Attraktivität und dem Begehrenswertsein (für Männer). Die Absprache dessen soll somit eine Kränkung der Person verursachen, da sie eben nicht diesen Indikatoren entspricht.[2]

Noch explizierter wird es bei Sexfantasien, die den Frauen ungewollt mitgeteilt werden. Hier ist oft einen fließenden Übergang zu Vergewaltigungsfantasien. Zum einen steht diese ungewollte Mitteilung der Sexfantasie (des Mannes) dafür, dass die Frauen stets für ihn (sexuell) verfügbar sein sollte, also für ihn lediglich als das gesehen wird: ein Sexobjekt. Die Aussage ist: ich sehe dich nicht als Politikerin, Journalistin oder Schauspielerin – ich sehe dich nur als Frau und somit als Objekt. Das Aufdrängen dieser Fantasien ist ein Übergriff an sich, und wird oft mit der Frau in der repressiven, passiven Position ergänzt, denn er beschreibt, was er „mit ihr macht“, sie also quasi benutzt. Der Wille der Frau spielt keine Rolle. Solche übergriffigen Nachrichten sollen die Frau noch mehr entwürdigen, denn für eine Frau gibt es fast nichts entwürdigenderes und auf vielfältige Weise Verletzenderes, als missbraucht zu werden.

Auch die Absprache von Intelligenz und Kompetenz oft in Verbindung mit einem Verweis auf das Frausein kommt häufig vor – als vermeintlich offensichtliche Verknüpfung von Geschlecht und Intelligenz. Zwar sieht man dies allgemein sehr häufig als „Argument“, dennoch ist eben die Verknüpfung hier der Kern der Aussage. Man liest oft von „dummen Weib/ Kuh/ Schlampe/ Fotze/Tusse …“ – seltener aber eben selbiges mit Bezug auf Männlichkeit.[3]

Eine Frau, die wiederholt solche Nachrichten erhält (und das trifft fast auf jede Frau zu, die in der Öffentlichkeit steht), wird sich überlegen müssen wie sie damit umgeht:

Ignorieren? Kann man das auf Dauer? Ist es nicht doch so, dass man sich dreimal überlegt was man schreibt. Dass man vorsichtiger wird oder manche Frau vielleicht ganz verstummt? Nicht jede kann diese Nachrichten von sich abgrenzen; erst Recht, wenn sie wie bei Sigi Mauerer in den privaten Lebensraum hineinwuchern. Der Ton wird rauer und es kann auch nicht das Ziel sein, zu sagen: „Wir müssen es einfach ertragen und die, die das nicht können sollen eben zurück in den privaten Raum – oder eben in der Öffentlichkeit keine kontroversen Statements abgeben“ – denn selbst das ist keine Garantie, denn die bloße Sichtbarkeit des weiblichen Körpers in der Öffentlichkeit ist Angriffsfläche.

Kontern? Jede*r, der/die schon einmal mit einem Troll im Internet diskutiert hat weiß, dass es eines der zermürbendsten und sinnlosesten Beschäftigungen ist, der man nachgehen kann. Jemand, der schon die Schwelle zur Beleidigung überschritten hat, hat bereits bewiesen, dass ihm/ihr nichts an einer Diskussion auf Augenhöhe liegt. Die Kraft kann man sich sparen.

Anzeigen? Natürlich sollten bestimmte Nachrichten und Kommentare angezeigt werden, wenn sie strafrechtlich relevant sind. Aber da fängt es schon an: das ist nämlich erst ab sehr drastischen Aussagen der Fall. Und solche Aussagen sind so gut wie nie erfolgreich. Netzaktivistin Anke Domscheit-Berg hat bisher mehrere solcher Hasskommentare angezeigt, aber ohne jeglichen Erfolg. Wozu sich also überhaupt die Mühe machen, werden sich viele denken?

So sind die Frauen wieder in der gleichen Position wie so oft – die der Machtlosen, der Sprachlosen. Man macht es zu einem individuellen Problem und legt es in die individuelle Verantwortung der Betroffenen etwas zu tun. Dabei ist Sexismus ein strukturelles Problem. Wenn Frauen wie Sigi Mauerer aufbegehren, dann werden sie dafür abgestraft. Darüber hinaus hat der Fall Mauerer auch eine aufklärende Wirkung, denn wenn alle Frauen öffentlich machen würden, was ihnen an Hass entgegen schlägt, dann würde mehr Handlungsdruck entstehen. Aber der Umgang mit dem Fall Mauerer ist für viele leider abschreckend, daher bleibt eine Veröffentlichung solcher Taten durch weitere Politikerinnen unwahrscheinlich.

Nun werden einige sagen: Es gibt doch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz! Mag sein, dass sehr provokante Aussagen, die in den sozialen Medien öffentlich sichtbar sind, nun ausgeblendet werden, aber ändert das etwas? Zum einen erhalten Frauen noch immer entsprechende Nachrichten, zum anderen wurden die Kommentare dennoch geschrieben, die Denkmuster bleiben also. Außerdem greift das NetzDG nicht in allen Fällen. Es gibt noch weitere Kritik auf der Ausführungsebene, aber im Kern bleibt das Problem bestehen. Frauen in der Öffentlichkeit sind von dem rauen Ton vermehrt betroffen. Das Ziel, mehr (junge) Frauen z.B. für Politik zu gewinnen rückt dadurch in weite Ferne. Was also tun? Zunehmende Einschränkungen im Internet können nicht das Ziel sein, Sexismen überwinden ist eine Mammutaufgabe, die so schnell nicht erledigt sein wird. Also dann doch Rückzug?

Auf keinen Fall! Was wir brauchen ist mehr Solidarität. #MeToo hat gezeigt, wie empowernd es für Frauen sein kann darüber zu schreiben, was ihnen passiert ist. Missstände sichtbar machen ist der erste Schritt sie anzugreifen. Es zeigt, dass so ein Verhalten nicht toleriert wird. Damit fordern Frauen den Raum ein, aus dem sie wieder verdrängt werden sollen. Das Netz kann zur Verstärkung von Misogynie beitragen, aber auch einen Freiraum schaffen. Es ist also ein Kampf um Freiräume und das Recht sich frei bewegen zu können in der Öffentlichkeit, sowie im Netz.

Quelle: https://www.medienanstalt-nrw.de/fileadmin/user_upload/lfm-nrw/Service/Pressemitteilungen/Dokumente/2017/Ergebnisbericht_Hate-Speech_forsa-Mai-2017.pdf

Screenshots vom Twitter-Account von Anke Domscheit-Berg (MdB).

 

Text: Claudia Sprengel

[1] http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/fall-sigi-maurer-in-oesterreich-endlich-wehrt-sich-mal-eine-a-1218827.html

[2] Screenshots vom Twitter-Account von Anke Domscheit-Berg (MdB).

[3] Screenshots vom Twitter-Account von Anke Domscheit-Berg (MdB).