Danach war erstmal Ruhe
Genau erinnern, wie es dazu kam, dass ich vor der Tür des Frauenhauses mit meinen beiden Kindern ankam, kann ich mich nicht mehr. Zu viel passierte an diesem Tag. Ich weiss, ich war fest entschlossen, dem Leben mit meinem aggressiven, gewalttätigen Mann ein Ende zu setzen. Oft schon hatte ich die Tür in der Hand. Aber wohin hätte ich gehen sollen? Frauenhäuser gab es in der DDR nicht. Im Gegenteil. Durch meine Schwester wusste ich, dass man oft noch sehr lange Zeit mit dem bereits geschiedenen Mann in einer gemeinsamen Wohnung leben musste.
Aber nun hatte ich eine reale Chance, mit meinen Kindern diesem Leben zu entkommen. So stand ich also vor der Tür mit ein paar Sachen, hastig und notdürftig zusammengesammelt. Aufgeregt und nervös, auf das Neue und das, was ich natürlich noch nicht verarbeitet hatte. Das Einzige, was klar war, ich werde jetzt was ändern können.
Auf mein Klingeln: eine Gegensprechanlage, ich wurde bereits erwartet. Dann natürlich die Begrüssung durch eine freundliche Mitarbeiterin. Ein erstes kleines Gespräch über die wichtigsten Dinge, die für Bewohnerinnen des Hauses von Bedeutung sind. Mir wurde das Zimmer gezeigt, das in der nächsten Zeit zu einem zu Hause für mich und meine Kinder werden sollte. Wir hatten Glück. Das Haus war nicht voll belegt, wir hatten das Zimmer für uns allein. Das war nicht immer so.
Wir versuchten erst mal ein wenig zur Ruhe zu kommen, die Betten zu beziehen und unsere Sachen auszupacken. Danach ging die Mitarbeiterin mit uns durchs Haus. Die Räume: Aufenthaltsraum, mit einem Fernseher und Spielmöglichkeiten für die Kinder. Die Zimmer der Anderen, Waschräume, Küche…. wurden uns gezeigt. Den Bewohnern, welche uns begegneten, wurden wir vorgestellt.
Danach war erstmal Ruhe und Ankommen angesagt.
Am nächsten Tag gab es die ersten tiefergehenden Gespräche. Es wurde auch geklärt, welche Mitarbeiterin mein Ansprechpartner und bei Problemen zuständig sein wird. Auch für die Kinder gab es eine Betreuerin, was ich als sehr wichtig erachte. Sie haben ihr eigenes Erlebtes und entwickeln eine eigene Sichtweise, wodurch Konflikte quasi vorprogrammiert sind. So hatten sie eine eigene Ansprechpartnerin.
Das Leben gestaltete sich vordergründig so, dass jede Frau erstlinig selbst für sich und ihre Kinder verantwortlich war. Ein grosses Gebot: Hilfe zur Selbsthilfe. Ich versuchte, für mich und die Kinder einen geregelten Tagesablauf zu leben. Die Kinder gingen in die Schule und ich arbeitete im Schichtdienst. Meine Kinder, damals 13 und 15 Jahre alt, mussten sehr viel in Eigenverantwortung regeln. Mehr, als sie es bis dahin gewohnt waren.
Daneben galt es, auch für mich neue Wege zu gehen. Einiges muss ja noch geregelt werden. Behördengänge, Gespräche mit dem Vater der Kinder und vieles mehr. Wenn man mal am Ende war, gab es immer Ansprechpartner. Nachts waren wir allein, hatten aber ständig die Möglichkeit, Telefonkontakt zur Mitarbeiterin zu bekommen.
Für die Sauberkeit in den Zimmern war man selbst verantwortlich. Für die gemeinsam genutzten Räume gab es Pläne.
Es gab Gespräche mit allen Bewohnerinnen, um Probleme oder Streitereien im Haus zu klären. Bei Frauen, die nicht allein in der Lage waren, z. B. Behördengänge zu erledigen, wurden sie begleitet.
Es wurde jeder Frau jeder Zeit ermöglicht, ihren Neuanfang zu schaffen. Trotzdem gab es auch Rückschläge, Frauen, die zu verängstigt waren und doch wieder nach Hause gingen. Frauen, die sich das Leben hier wohl anders vorgestellt hatten und mit der Enge zu uns Anderen nicht klarkamen. Man war ja fast ständig mit anderen Frauen zusammen. Bei mir war es damals aber so, dass ein Zusammenhalt entstand. Manchmal legten wir unser Geld zusammen und dann gab es gemeinsames Abendessen. Wir tauschten auch untereinander Erlebtes aus, sprachen uns gegenseitig Mut zu. Auch Feste wurden gemeinsam gefeiert. Ich erlebte während meines Aufenthaltes Weihnachten, Silvester und meinen Geburtstag, der mir immer im Gedächtnis bleiben wird. Nicht, wegen der Geschenke, ich habe weder vor- noch hinterher erlebt, dass sich eine Schlange bildete um mir zu gratulieren. Das hat mich sehr, sehr berührt.
Ich habe es damals geschafft, ein neues Leben zu beginnen. Oft denke ich noch an die Zeit im Frauenhaus mit grosser Dankbarkeit für die hilfreiche Arbeit der Mitarbeiterinnen zurück. Für ihre aufopferungsvolle Arbeit kann es nicht genug Lob, Anerkennung und Dank geben. Auch wünsche ich, dass es noch viele andere Frauen gibt, denen in ihrer Not so umfassende Hilfe entgegengebracht wird. Ich sehe es als Errungenschaft an, dass es Frauenhäuser gibt und denke, dass es wichtig ist und für den Staat eine menschliche Pflicht ist, die Frauenhäuser zu erhalten.
Eine „Ehemalige“
Text: anonym
Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ ist ein bundesweites Beratungsangebot für Frauen, die Gewalt erlebt haben oder noch erleben. Unter der Nummer 08000 116 016 und via Online-Beratung unterstützen wir Betroffene aller Nationalitäten, mit und ohne Behinderung – 365 Tage im Jahr, rund um die Uhr. Auch Angehörige, Freundinnen und Freunde sowie Fachkräfte beraten wir anonym und kostenfrei. www.hilfetelefon.de