Lust auf Lobbyarbeit
Eine fast einhundert Seiten starke Broschüre liegt bei unserem Besuch in Brandenburg auf dem Tisch. Denn der Bundesverband alleinerziehender Mütter und Väter feiert(e) in diesem Jahr sein 50-jähriges Bestehen. Er wurde 1967 von der Lehrerin Luise Schöffel als „Verband lediger Mütter“ in Baden-Würtemberg gegründet.
Christine Beu hat als Geschäftsführerin des Landesverbandes Brandenburg (VAMV) davon 20 Jahre miterlebt und –gestaltet. Jetzt geht sie in den Ruhestand. Christina Mandel ist ihre Nachfolgerin und arbeitet sich gerade in die Materie ein. Dafür bringt die 40-jährige Diplom-Sozialpädagogin großes Verständnis und Einfühlungsvermögen mit. Denn sie ist selbst bei einer alleinerziehenden Mutter aufgewachsen.
20 Jahre Lobbyarbeit für Alleinerziehende in Brandenburg
Für Christine Beu hingegen, die vor der Wende als Unterstufenlehrerin und Pionierleiterin arbeitete, kam die ABM-Stelle beim VAMV-Bundesverband in Berlin nach ihrer Weiterbildung in Sozialmanagement und –beratung gerade recht. Doch die Lobbyarbeit für Alleinerziehende hat sie danach nicht mehr losgelassen. Und als sie auch von Berlin nach Brandenburg an der Havel umzog, suchte sie ein Netzwerk, dem sie sich anschließen konnte.
Dem Frauenpolitischen Rat gehört Christine Beu seit 1998 an, sie wurde direkt zur finanzverantwortliche Sprecherin gewählt und machte das vier Wahlperioden lang. Die gebürtige Mecklenburgerin war immer zur Stelle, wenn sie gebraucht wurde, hat ansonsten jedoch ein zurückhaltendes Naturell. Doch laut werden konnte sie auch, erinnert sich die heute 65-Jährige.
Erfolgreiche Kampagne zur Wiedereinführung der Steuerklasse 2
Und zwar, als die Bundesregierung 2002 beschloss, die Steuerklasse 2 abzuschaffen und Alleinerziehende dadurch wie Arbeitnehmer*innen ohne Kinder besteuert werden sollten. Beu stand gemeinsam mit anderen auf den Marktplätzen des Landes, sammelte Unterschriften und half mit, 200.000 Rote Karten mit der Aufschrift „Ich bin doch kein Single!“ zu verteilen.
Sie erzählt, dass es sie heute noch stolz macht, dass damals Finanzminister Waigel die Entscheidung zurücknehmen und die Steuerklasse 2 wieder einführen musste. „Doch ansonsten braucht man“, sagt Beu, „für die Lobbyarbeit für Einelternfamilien einen ziemlich langen Atem“.
„Man braucht einen langen Atem für die Lobbyarbeit für Einelternfamilien.“
Kritik äußert Christine Beu daran, dass sie seit den Haushaltskürzungen von 2002 allein die Stellung in der Landesgeschäftsstelle halten musste. Doch auch hier half, wie in vielen anderen Frauen- und Familienverbänden, nur Projektarbeit und Ehrenamt. Und eine gehörige Portion Improvisationstalent.
Besonders die Mütter stärken
Schließlich erzählt sie noch, dass es auch immer wieder gelang, alleinerziehende Frauen, die in der Geschäftsstelle ein Praktikum absolvierten oder geringfügig beschäftigt waren, in reguläre Stellen zu vermitteln. Denn von der Leistungsbereitschaft gerade alleinerziehender Frauen ist Christine Beu überzeugt. Und sie vermittelte u. a. auch eine Mutter mit drei Kindern, die lange im Ausland gelebt hat, auf eine Stelle, die diese heute noch innehat.
In der Wanderausstellung „Kompetent, zuverlässig, engagiert im Beruf“, die der VAMV gemeinsam mit SHIA auf den Weg brachte, ist das auch jetzt noch in Wort und Bild zu erfahren.
Text: Astrid Priebs-Tröger
Foto: Anne Heinlein
Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter Brandenburg (VAMV) wurde 1993 gegründet und ist seit dieser Zeit auch Mitglied im Frauenpolitischen Rat.
Er ist die politische Interessenvertretung für Einelternfamilien und sensibilisiert die Öffentlichkeit für deren Lebenssituation. Er fordert die Anerkennung von Einelternfamilien als gleichberechtigte Familienform.