Manchmal sind wir richtige Seelsorger …
„Ilse Bilse, niemand willse“ … fast Jede*r kennt diesen alten Kinderreim. Doch die Ilse*, die sich im Zentrum von Großräschen befindet, ist kein ungeliebte junge Frau, sondern ein Mehrgenerationenhaus (MGH) des Arbeitslosenverbandes Deutschland, Landesverband Brandenburg e. V. Der Arbeitslosenverband ist als Gründungsmitglied schon seit 25 Jahren Teil des Frauenpolitischen Rates, hier können Sie einen Einblick in ein Projekt des Verbandes kriegen.
„Ilse“ entwickelte sich aus einem früheren Arbeitslosenzentrum, das 1991 vom Landesverband Brandenburg in der ehemaligen Kohlebergbaustadt in der Niederlausitz gegründet wurde. Während in den Wendewirren dessen Hauptaufgabe darin bestand, die Interessen von arbeitssuchenden Menschen zu vertreten und ihnen zu helfen, sich in der neuen (Arbeits-) Gesellschaft zurecht zu finden, ist das Angebotsspektrum seit 2009 viel umfangreicher.
Das Mehrgenerationenhaus, das sich heute im Herzen der noch knapp 9.000 Einwohner zählenden Stadt in einer ehemaligen Schule befindet, hält Angebote für Jung und Alt bereit: Von Hausaufgabenhilfe, über verschiedene Kreativzirkel und soziale Beratungsangebote bis hin zu Angeboten der Tafeln, der Kleider- und der Möbelbörse für Menschen, die finanziell benachteiligt sind. Herzstück ist jedoch der offene Generationentreff und zu den stattfindenden Festen wird ebenfalls die ganze Stadt eingeladen.
Wir haben uns nicht unterkriegen lassen …
Roswitha Just lenkt seit 2011 „Ilses“ Geschicke. Die ehemalige Bahnangestellte ist dem Arbeitslosenverband Brandenburg noch immer dankbar, dass sie an ihrem 50. Geburtstag diese (zweite) Chance bekam. Denn als Roswitha Just arbeitslos wurde, und man ihr im Jobcenter sagte, dass sie mit 44 „zu alt für den 1. Arbeitsmarkt“ sei, begann sie als Hilfskraft mit Mehraufwandsentschädigung (MAE) im MGH zu arbeiten. Bis man sie mit der Leitung des Hauses betraute.
Fast genauso lange wie sie ist auch Evelyn Frackowiak mit dem Mehrgenerationenhaus verbunden. Die gelernte Küchenhilfe hat als Witwe nach der Wende allein fünf Jungs großgezogen, „die alle was geworden sind“, wie sie voller Stolz sagt. Sie selbst wurde, als die Jüngsten langsam selbstständig wurden, in die gleiche Schublade wie Roswitha Just gesteckt. Doch genauso wie diese wollte sie sich außerhalb ihrer eigenen vier Wände nützlich machen und arbeitete zuerst als Bundesfreiwillige und inzwischen als langjährige Ehrenamtliche für das Haus.
Eigentlich nur zwölf Stunden pro Woche, doch die 59-Jährige ist immer zur Stelle, wenn sie angerufen wird. Sie ist so etwas wie die „gute Seele des Hauses“ und sich nicht zu schade, überall, wo sie gebraucht wird, mit anzupacken. Roswitha Just schätzt dies. Und auch, dass viele der fast zwanzig im Haus Beschäftigten, seit mehr als zwei Jahrzehnten mit dabei und fast alles Frauen sind. So ein eingeschworenes Team braucht es auch, um die immer vielfältigeren Aufgaben zu bewältigen.
Deutschlernen und Fastenbrechen gehören jetzt dazu
Denn neben der Betreuung, Begleitung und Unterstützung der „eigenen“ sozial benachteiligten Einwohner*innen, sind auch in Großräschen 2015 viele geflüchtete Menschen angekommen und aufgenommen worden. Die Frauen vom Mehrgenerationenhaus unterstützen sie mit viel Herzblut und Pragmatismus beim Deutschlernen, gehen mit ihnen zu Ämtern und Behörden, organisieren Möbel und Bekleidung und stellen auch für das traditionelle Fastenbrechen beim Ramadan ihre Räume und Frauenpower zur Verfügung.
Das kommt gut an, genauso wie ihre einfühlsame und direkte Art. Eine langjährige Besucherin ist eine 84-jährige Spätaussiedlerin aus Kasachstan, die in den beiden Frauen echte Vertraute gefunden hat. „Manchmal sind wir richtige Seelsorger“, sagt Roswitha Just. Die Rentnerin Edeltraut Mielke kommt indes wegen des täglich frisch gekochten, preiswerten Mittagessens und zu den regelmäßig stattfindenden Familienveranstaltungen mit ihrem Enkelsohn.
Text: Astrid Priebs-Tröger
Fotos: Anne Heinlein
*Das MGH befindet sich in der Nähe des Großräschener Sees, der bis 2011 Ilse-See hieß.
Der Arbeitslosenverband Deutschland Landesverband Brandenburg e. V. (ALV Brandenburg)
ist ein anerkannter Verband der freien Wohlfahrtspflege. Er gehört zu den Gründungsmitgliedern der Frauenpolitischen Rates.
Seit 1990 stellt er einen freiwilligen Zusammenschluss von Bürgerinnen und Bürgern mit dem Zweck der Förderung, der Fürsorge, der Wohlfahrt und Interessenvertretung der von Erwerbslosigkeit betroffenen oder bedrohten Personen sowie von Personen in anderen sozial benachteiligten Situationen – einschließlich von Kindern und Jugendlichen – dar.
Neben dem MGH „Ilse“ betreibt er noch drei weitere Mehrgenerationenhäuser und soziale Einrichtungen an insgesamt 28 Standorten im Land Brandenburg.