Antwort auf Harald Martensteins Kommentar in der Berliner Zeitung
30 Jahre Mauerfall ist für die Berliner Zeitung, den Tagesspiegel und die Bundeszentrale für politische Bildung Anlass die Meinungsfreiheit zu feiern.
Warum man mit der Absicht Meinungsfreiheit zu feiern reaktionären Müll veröffentlichen muss, ist unklar.
Harald Martenstein hat jedenfalls einen Kommentar mit dem Titel „Geschlechterpolitik ist ein Projekt der Eliten“ geschrieben. Kurz zusammengefasst behauptet er, dass die Gleichberechtigung weitgehend erreicht sei. Das stimmt natürlich nicht, als Kolumnist lebt er aber ja davon, Aufschreie zu produzieren – worauf Vertreterinnen der LAG der kommunalen Gleichstellungsbeauftragten mit mir zusammen geantwortet haben.
Verena Letsch
Hier unsere Antwort darauf:
Sehr geehrter Herr Martenstein,
wir stimmen Ihnen zu: Feminismus ist anstrengend. Feminismus ist kompliziert. Und ja, die feministische Theorie und Praxis ist voller Widersprüche, die sich nicht einfach auflösen lassen – so wie viele andere Theorien auch. Wir Feministinnen sind viele, wir sind unterschiedlich und wir haben verschiedene Ziele – es gibt nicht DEN EINEN Feminismus. Und dennoch: Im letzten Jahr feierten wir gemeinsam 100 Jahre Frauenwahlrecht. Jedem Mann, der damals mit dazu beigetragen hat, sind wir dankbar. Es bleibt aber festzuhalten, dass es ein langer und vornehmlich von Frauen geführter Kampf war. Warum nur? Warum nur mussten noch bis in die 1970er Jahre hinein Frauen in der BRD ihre Ehemänner fragen, ob sie arbeiten gehen dürfen? Können Sie uns erklären, wer da welche Interessen hatte? Und immer fanden sich Menschen – meist Männer – die süffisant darauf hinwiesen, dass die Frauen das alles viel zu wichtig nähmen und es doch nun langsam mal gut sein müsste, man sich, kurzum, nicht so anstellen möge.
Herr Martenstein, müssen Sie sich als Mann gesellschaftlichen Diskussionen aussetzen, wenn Sie für sich entscheiden, dass Sie keine Kinder haben möchten? Frauen, die ungewollt schwanger werden oder gar nicht schwanger werden wollen, müssen sich aber immer wieder dieser Auseinandersetzung stellen. Und das, egal ob sie bei Aldi an der Kasse arbeiten oder Managerin sind.
Stellen Sie sich vor, die Aufgabe der Gleichstellungsbeauftragten ist es eben nicht, „kleinste und vermeintliche Benachteiligung“ aufzuspüren. Vielmehr gibt es einen klaren Verfassungsauftrag des Staates, für Durchsetzung von Gleichberechtigung zu sorgen. Es geht bei der Gleichstellungsarbeit darum, dass beide Geschlechter die gleichen Möglichkeiten in der Gesellschaft bekommen sollen. Denn auch Jungen und Männern stehen nicht alle Wege offen. Gleichstellungsbeauftragte können sie bei selbstbestimmten Entscheidungen zur Berufs- und Lebensplanung abseits von Rollenklischees unterstützen: Viele Männer wollen die Aufgaben in der Familie partnerschaftlich teilen und immer mehr Väter nehmen Elternzeit wahr, ältere Männer pflegen ihre Partnerinnen, in Kitas arbeiten Männer als Erzieher und immer mehr getrennt lebende Väter fordern eine Normalisierung des sogenannten Wechselmodells.
Im Kern geht es also um eine gleichberechtigte, demokratische Gesellschaft – um Chancengleichheit und darum, dass Menschen in ihrer Vielfalt ihre Potenziale in unsere Gesellschaft einbringen können. Es ist eben kein Elitenprojekt, sondern genießt Verfassungsrang und gehört damit zu den Grundwerten unserer Gesellschaft. Das zu verspotten ist einfach, dafür zu kämpfen ist harte Arbeit.
Christiane Bonk, Manuela Dörnenburg und Theresa Pauli für die Landesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Gleichstellungsbeauftragten Brandenburg / Verena Letsch, Frauenpolitischer Rat Land Brandenburg