Soziale Arbeit in der Bildungseinrichtung Teil 1: „Wir brauchen mehr Experimentiermöglichkeiten und mutige Jobcenter“

Teil 1 des Interviews mit Marion Ben Rabah, Sozialarbeiterin bei der Bildungseinrichtung Buckow e.V.

Vielen Dank, dass du dir Zeit für unsere Fragen nimmst! Du bist schon sehr lange für die Bildungseinrichtung  Buckow e.V. tätig. Was genau machst du da? Worum geht es bei deiner Arbeit?

Ja, ich bin seit 2001 dabei. Von 2001-2016 war ich für die Bildungseinrichtung Buckow in der Uckermark tätig, jetzt im Barnim. Vorrangig ging es in meiner Arbeit immer darum, SINNVOLLE Projekte für arbeitslose Bürgerinnen und Bürger der Uckermark ALLER Altersgruppen zu konzipieren, zu organisieren und durchzuführen. Auftraggeber war vorrangig seit 2005 das Jobcenter Uckermark, das vom Landkreis Uckermark aufgebaut und verwaltet wurde – die „Optionskommune“ Landkreis Uckermark hat damit die Verantwortung für ihre arbeitslosen Bürgerinnen und Bürger  selbst übernommen, um bessere Möglichkeiten zu schaffen, am öffentlich geförderten Arbeitsmarkt mit Hilfe von regionalen Projekten teilhaben zu können.

Was genau ist der öffentlich geförderte Arbeitsmarkt? Welche Arbeiten werden dort verrichtet und was ist das Ziel dieser Förderung?

Ich glaube, darauf wirst du hunderte Antworten finden. Der öffentlich geförderte Arbeitsmarkt sollte meines Erachtens dafür Sorge tragen, dass die arbeitslosen Menschen BIS zu einer neuen Perspektive (vorzugsweise die Integration in den ersten Arbeitsmarkt) ihre Potentiale und Kompetenzen erhalten können und sich nicht „abgeschoben“ fühlen müssen. Es ging uns als Bildungseinrichtung außerdem darum, weitere Teilhabe am gesellschaftlichen Leben trotz Erwerbslosigkeit zu ermöglichen. Der ögA (öffentlich geförderte Arbeitsmarkt) beinhaltete Weiterbildung und Maßnahmen zum „Erhalt der Erwerbsfähigkeit“. FÖRDERN und FORDERN – das war und ist ja der Slogan des SGB II. Verrichtet werden sollten Arbeiten, die zusätzlich waren und im öffentlichen Interesse standen UND die keine Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt gefährdeten. Wir als „Arbeitsmarktdienstleister“ (das sind die Bildungseinrichtungen und Arbeitsfördergesellschaften) mussten uns also solche Arbeiten ausdenken… Eigentlich „unmöglich“, da es KEINE Arbeiten gibt, die „zusätzlich“ sind, weil sie dann ja sinnlos wären…

Was sind das für Projekte, die du in der Uckermark durchgeführt hast?

Es gab zum Beispiel das Projekt „Strohhalm“ am Standort Klockow – das war ein Projekt gegen Jugendarbeitslosigkeit und zur Zielgruppe gehörten Jugendliche OHNE Schul- und/oder Berufsabschluss. Ich konnte dort mit Jugendlichen arbeiten, die einerseits „zu stark“ waren, um in die Werkstatt für behinderte Menschen eingegliedert zu werden und andererseits noch „zu schwach“, um den Anforderungen des ersten Arbeitsmarktes zu genügen. Wir haben gemeinsam mit den Jugendlichen gearbeitet, gelernt und auch gefeiert. Sie konnten sich in vier Bereichen erproben: Hauswirtschaft, Küche, Gartenbau und Handwerk. Zusätzlich haben sie gemeinsam und allein für ihren Schulabschluss gelernt – dazu hatten wir eine Unterstufenlehrerin mit im Projekt. Wir haben auch gemeinsame Freizeit verbracht – Gesellschaftsspiele gespielt, waren Bowlen oder Baden, wir haben gemeinsam gelacht und geweint und mit Verwandten und Freunden gefeiert und gestritten. Es ging darum, gemeinsam an der eigenen Zukunft zu basteln. Es ist nicht wirklich zu beschreiben…es war wundervoll. Das Projekt konnte NUR mit Hilfe und Engagement des Jobcenters drei Jahre durchgeführt werden und als Ergebnis konnten von insgesamt 44 Teilnehmerinnen und Teilnehmern 17 (39 %) nach Beendigung des Projektes in Arbeit und/oder Lehrausbildung vermittelt werden. Dieses Ergebnis ist deshalb bemerkenswert, da zu Beginn des Projektes davon ausgegangen wurde, dass maximal zwei TeilnehmerInnen dieses Ziel erreichen würden.

Warum war genau dieses Projekt erfolgreicher, als andere, konventionellere Projekte?

Ich denke, dass liegt vor allem daran, dass es keinen Druck gab – die Jugendlichen durften sich ausprobieren und haben sich dabei selbst übertroffen! Es gab so viele kleine Erfolge und so viele positive Erlebnisse… Das Jobcenter hat hier MUT zum Experimentieren im Rahmen der Projektdurchführung bewiesen und damit konnten diese Ergebnisse erzielt werden.

Warum brauchte es für dieses Projekt Mut seitens des Jobcenters?

Das hängt mit der Pilotphase der sogenannten „Optionskommunen“ zusammen und mit den Ermessensspielräumen, die dadurch 2005 den Kommunen ermöglicht wurden. Optionskommunen sollten die Arbeitsmarktintegration von Langzeitarbeitslosen besser ermöglichen, da sie regionalspezifischer agieren können. Damals bedeutete das im Vergleich zur Bundesagentur für Arbeit ganz neue Möglichkeiten der Förderung von Projekten, wie „Strohhalm“. In meiner Bachelor-Arbeit, die ich zu diesem Projekt geschrieben habe, habe ich auch ein Folgekonzept entwickelt. Die Jugendlichen sollten mit dem Buckow e.V. ein neues Projekt entwickeln und JEDER hätte dort seine Aufgabe gehabt. .ABER, wir hatten keine Lobby und keine finanzielle „Macht“.  Es wäre ein Sozialbetrieb geworden, der nicht auf dem „Papier“ der Projektentwickler entstanden wäre, sondern IM TUN bzw. AUS dem TUN heraus sich entwickelt hätte… Hauptgrundlage unserer Arbeit damals war das Vertrauen, die Ermutigung und Ermunterung, die die Jugendlichen im Projekt erfahren haben.  Ich bin nach wie vor fest von dem Konzept des „Strohhalms“ überzeugt. Leider wurde es 2008 nicht fortgeführt. Wir haben gehört, dass die Förderrichtlinien nicht dazu geeignet waren, das Projekt weiter zu fördern…

Warum waren die Förderrichtlinien nicht geeignet?

Es war KEIN Projekt, das von vornherein schon Aussagen darüber treffen konnte, wie viele Jugendliche vermittelt werden können – und hat deshalb nicht in unsere „Leistungsgesellschaft“ gepasst. Das muss man einfach zugeben. Die Förderrichtlinien sind nun mal darauf ausgerichtet, mit Hilfe des Jobcenters wieder Arbeitskräfte zu „rekrutieren“ und die Menschen an die Anforderungen anzupassen und nicht andersherum die Arbeit an die Menschen anzupassen.

Ich könnte noch viele, viele Projekte anführen, die aufgrund bürokratischer Hürden nicht weitergeführt wurden, obwohl sie erfolgreich waren…

 

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Das Interview führt Sabine Carl (Netzwerk Care Revolution Potsdam) für die Reihe „Wir kümmern uns!“

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Der zweite Teil erscheint nächsten Donnerstag auf www.frauenpolitischer-rat.de.

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In der Blogreihe „Wir kümmern uns!“ schreiben Brandenburger*innen zu den Themen, die sie bewegen und/oder formulieren dabei auch Handlungsbedarfe und Wünsche an die Politik. Was sind aktuell wichtige Themen in Bezug auf Sorgearbeiten in Brandenburg? Wofür sollten wir uns gemeinsam einsetzen, worin uns gegenseitig unterstützen? Schreibt uns Eure Sicht der Dinge!

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