„Selber Schuld“ – Auftaktveranstaltung zur 28. Brandenburgischen Frauenwoche
Der Plenarsaal im Potsdamer Rathaus ist am 1. März 2018 sehr voll. Etwa 130 Frauen* verschiedener Initiativen, Vereine oder Gleichstellungsbüros sind der Einladung gefolgt, gemeinsam mit dem Frauenpolitischen Rat Land Brandenburg den Auftakt der Frauenwoche zu begehen.
Heidrun Szczepanski, Sprecherin des Frauenpolitischen Rates, begrüßt stellvertretend für den Frauenpolitischen Rat alle Anwesenden und macht gleich zu Beginn der Veranstaltung klar, dass das Motto „Selber Schuld“ streitbarer Hinweis auf unsere Lebenserfahrungen ist – denn manchmal seien wir selber schuld! Zum Beispiel, wenn wir nicht widersprechen oder uns wehren.
Szczepanski ist sich da einig mit Ines-Angelika Lübbe, der provokanten Moderatorin des Tages, die bei Alters- und, Bildungsarmut, Lohnungleichheit oder Gewalt an Frauen* und Mädchen* kein Verschulden der Betroffenen erkennt – im Gegenteil. Diese Themen seien gesellschaftliche Herausforderungen, denen wir uns alle – lieber früher als später – gemeinsam stellen müssten.
Im Grußwort der Ministerin Diana Golze findet sich diese Erkenntnis erneut wieder: Die Frauenwoche würde dringend benötigt, denn strukturelle Benachteiligungen seien noch immer ein großes Thema. Umso relevanter sei es da, dass das Land Brandenburg die Frauenwoche jährlich fördere und damit wichtige Impulse ermögliche. Aktuell sei es umso wichtiger den Weg mit dem Ziel der Gleichberechtigung unermüdlich weiter zu gehen, seien doch Frauenrechte oder die politische Teilhabe von Frauen durch die Politik der AfD in Landesparlamenten und im Bundestag akut in Gefahr.
Doch was sagen eigentlich die Männer* zu dieser geballten Schuldabweisung? Jann Jakobs, Oberbürgermeister Potsdams, schätzt die Frauenwoche als Instrument für Sensibilisierung und Etablierung frauenpolitischer Themen. In diesem Zusammenhang empfindet er das Rathaus als passenden Ort für die Botschaft der Gleichberechtigung, denn auch hundert Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts sei dies nicht gleichbedeutend mit gleichberechtigter politischer Teilhabe. Dies bestätigt auch Birgit Müller, Vorsitzende der Stadtverordnetenversammlung der Landeshauptstadt Potsdam, und verweist auf 19 Frauen von 57 Stadtverordneten. Genauso wie Carsten Werner, Geschäftsführer der Friedrich-Ebert-Stiftung im Land Brandenburg, zeigt sich Jakobs als Verbündeter. Beide halten ihre Redebeiträge kurz – denn diese Veranstaltung ist ein Raum für weibliche Perspektiven.
Magdalena Möbius, landeskirchliche Pfarrerin der EKBO, gibt anschließend einen Input zur patriarchalen Tradition des Christentums, wodurch Gott konsequent als männlich interpretiert würde. Diese Auslegung betrachtet sie als Sündenfall. Gerade wegen der Übersetzung des Gottesnamen als „der Herr“ wirkt christliche Theologie nach wie vor patriarchal. Das nennt sie den „zweiten Sündenfall“ der Kirchen – neben der Tatsache, dass den Frauen die Sünde angelastet wurde. Seit Jahrzehnten übten Frauen und zunehmend Männer in den Kirchen ein, Gott endlich wieder auch mit weiblichen Bildern und weiblichen Artikeln und Pronomen zu beschreiben und anzureden. Ihr sei wichtig, dass wir in der Vernetzung mit all den anderen emanzipativen Frauenverbänden und den staatlichen Stellen daran arbeiten, die genannten Prägungen endlich aus den Köpfen zu bekommen und dass wir ungerechte Strukturen verändern, sei es durch Gesetze, sei es durch Quoten, sei es durch Bildung, sei es durch Trainings, am besten mit allem zusammen – „es wird Zeit für einen diversen Feminismus.“ Eine Diskussionsveranstaltung zu dem Thema wird am 13. März die Inhalte vertiefen. Hier finden Sie genaue Informationen.
Auch Henrike von Platen, Geschäftsführerin des Fair Pay Innovation Lab findet nicht, dass Frauen „Selber Schuld“ sind an ihren Benachteiligungen, besonders in der Arbeitswelt: „Fakt ist, dass sich Frauen mit Kindern, die Teilzeit arbeiten oder den „falschen“ Beruf gewählt haben – in Deutschland, im Jahre 2018 – mit Herausforderungen konfrontiert sehen, für die sie nicht die geringste Verantwortung tragen: Kinder sind ein Armutsrisiko, Familie und Arbeit in Vollzeit sind kaum oder nur sehr schwer vereinbar, typische „Frauenberufe“ werden noch immer schlechter bezahlt als andere. Für all diese Probleme gibt es strukturelle Ursachen und um diese zu lösen brauchen wir keine Frauen, die es trotz allem schaffen, sondern eine bessere, verlässliche und bezahlbare Kinderbetreuung. Wir alle müssen uns überlegen, welchen Wert wir welchen Tätigkeiten beimessen – ob beim Friseur, beim Anwalt, bei der Geburtsbetreuung oder in der Autowerkstatt. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, den Wert von Arbeit neu zu definieren.“
Nach dem Mittagsimbiss folgt die Podiumsdiskussion mit der Gleichstellungsbeauftragten der Stadt Potsdam Martina Trauth, der Staatssekretärin Almuth Hartwig-Tiedt und Elisabeth Ngari von Women in Exile e.V., sowie Gotelind Alber, von Women for Climate Justice. Moderiert von Verena Letsch (FPR), setzen sich die Frauen zu Beginn mit dem Motto „SELBER SCHULD“ auseinander. Ngari stellt heraus, dass es geflüchteten Frauen schwer fiel, sich in dem Motto wiederzufinden, denn Flucht spielte in der Vorankündigung gar keine Rolle. Trauth räumt ein, dass Frauen mit Fluchthintergrund nicht explizit genannt worden seien, die Unterschiede zwischen Frauen deshalb hier auf dem Podium eine Rolle spielen sollen.
Auf die Frage was getan werden könnte, um sich kollektiv gegen Schuldzuweisungen zu wehren und wie z.B. politische Strukturen verändert werden könnten, antwortet Staatssekretärin Hartwig-Tiedt, dass Vernetzung, Austausch und „Voneinander-Wissen“ dafür essentiell seien, genauso wie Themen zu setzen, Ressourcen zu finden und Selbsthilfe zu nutzen. Ngari ist der Meinung, dass es Solidarität aus jeder Ecke der Gesellschaft brauche, denn es sei wichtig sichtbar zu machen, dass Frauen auch mehrfach von Diskriminierungen betroffen sein können, z.B. durch Sexismus, Rassismus oder die Asyl-Gesetzgebung. Alber macht deutlich, dass die Betroffenheit von Frauen sehr unterschiedlich sein kann, deshalb sollte sich Politik an den unterschiedlichen Bedingungen für politische und soziale Teilhabe ausrichten und gleiche Bedingungen für alle schaffen.
Notwendige Veränderungen in der Arbeitswelt werden von Trauth gefordert, die keine Beispiele für Führung in Teilzeit kennt und dies als eklatanten Mangel herausstellt, denn wer bisher Karriere machen will, müsse die Familie vernachlässigen und sich „totarbeiten“. Ngari verweist zuletzt auf den politischen Willen zu Veränderung, denn bestimmte Privilegien für einige wenige gingen vielleicht mit der Unterdrückung anderer einher. In ihren letzten Statements stellen die Frauen heraus, dass es wichtig ist, sich gegen Geschlechterstereotype und Schubladendenken zu wehren (und sich selbst zu reflektieren) oder Vielfalt zu leben, aber auch, dass alle Frauen* gleiche Rechte haben sollten – denn Probleme rund um Geschlechtergerechtigkeit seien keine Luxusprobleme.
Abschließend verweist auch die Landesgleichstellungsbeauftragte Monika von der Lippe auf den ausreichend vorhandenen Diskussionsstoff und die Möglichkeiten das Motto „Selber Schuld“ positiv und negativ zu wenden. Unsere Vielfalt sei ein Abbild der Lebensrealitäten von Frauen*, die Begeisterung über die vielseitigen Formate und aktuellen Inhalte, sowie neue Teilnehmer*innenkreise sei spürbar. An dieser Stelle ist es dann auch nur konsequent, mit dem Zitat der Vorkämpferin Clara Zetkin zu schließen:
„Ich will da kämpfen, wo das Leben ist!“ – Und das können wir alle. Jede auf ihre Weise.
Zuletzt findet bei strahlendem Sonnenschein der Stadtspaziergang zu den FrauenOrten von Anne-Marie Baral und Käthe Pietschker statt. Informativ kommentiert von Dörthe Kuhlmey und interessiert verfolgt von etwa 30 Frauen, macht der Spaziergang den Tag rund und beendet einen gelungenen Auftakt zu zwei Wochen Frauenwoche in Brandenburg.
Fotos: Simone Ahnend, sah-photo
Text: Laura Schleusener