Und täglich grüßt das „Familiendrama“

Posted by on Nov. 24, 2020 in Allgemein

 

Die digitale Fachtagung „Femizide“ fand am 18.11. statt, organisiert von dem Arbeitskreis Keine Gewalt gegen Frauen und Kinder Brandenburg an der Havel.

 

Jedes Jahr organisiert der Arbeitskreis Keine Gewalt gegen Frauen und Kinder Brandenburg an der Havel eine Fachtagung zum Thema Gewaltprävention und -schutz. Dieses Mal wurde das Thema Femizide in den Fokus genommen. Femizide sind Tötungen von Frauen* die im Zusammenhang von Hass gegen Frauen* und Weiblichkeit steht – direkt oder indirekt. Eine klare Abgrenzung des Begriffes ist schwierig und muss als unvollendeter Diskurs betrachtet werden.

Jule Moosdorf, Leiterin der Frauenschutzeinrichtung in Brandenburg an der Havel, lud im Namen des AKs Expertinnen aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen ein, die diesen Diskus versuchten einzuordnen und ihre Erkenntnisse im Umgang mit Femiziden in der Justiz, Wissenschaft, sozialen Arbeit und in den Medien als Beispiele anführten.

Landesgleichstellungsbeauftragte Manuela Dörnenburg verwies auf die Istanbul-Konvention, mit der sich auch Deutschland verpflichtet hat Gewalt gegen Frauen nachhaltig zu bekämpfen. Dazu wird es bald eine vom Ministerium beauftragte Erhebung zur Wirksamkeit von entsprechenden Maßnahmen im Land Brandenburg geben.

Ulrike Stasche begleitete als Rechtsanwältin mehrere Klientinnen, die von Gewalt und versuchtem Mord/Totschlag betroffen waren. Sie erläuterte innerhalb der Fachtagung eindrücklich, auch anhand eines regionalen Falls, wie ohnmächtig die Geschädigten, aber auch sie selbst sich gegenüber dem patriarchal geprägten Justizsystems fühlen. Ihr wurde ihre Emotionalität von Juristen vorgeworfen, was im besagten Fall in zweierlei Hinsicht zurückzuweisen ist. Zum einen, weil dieser Vorwurf stets gegenüber Frauen gemacht wird, um ihnen damit Professionalität und Legitimation abzusprechen, zum anderen ist es angesichts des Falles in dem eine Mutter vor den Augen ihres Kindes misshandelt und massakriert wird, kaum möglich eine nüchterne Aussage zu treffen.

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Frau Stasche beschreibt, wie der Mord an einer anderen Frau als erweiterter Suizid dargestellt wurde (weil der Mann sich ja eigentlich auch umbringen wollte), oder als Verzweiflungstat. Der Fokus, wie Professorin Kristina Wolff später ergänzt, liegt immer auf dem Täter. Sein Motiv wird versucht zu verstehen. Diese Erklärungen für den Mord an Frauen*, die jede Rechtfertigung sucht, statt den einfachen und banalen Hass gegen Frauen*, ist sinnbildlich für den Umgang mit der Thematik. Erst 2016 wurden erstmals systematisch Zahlen zu Femiziden in Deutschland erhoben. Dabei ist Frauenhass in einer Gesellschaft, in der Frauen* durch Sexismus oder Rollenklischees abgewertet werden ein Teil der Kultur, und zwar aller Kulturen.

Frau Wolff stellt in diesem Zusammenhang fest, dass alle Attentäter der letzten Jahre, sei es in Australien oder in Halle, eine Gemeinsamkeit haben – den Hass gegen Frauen*. Die neue Rechte und Bewegungen wie „unfreiwilliges Zölibat“ im Netz verstärken solche Impulse, sind aber keineswegs neu. Die Professorin zeigt in ihrer Analyse deutlich auf wie das Wording und Framing in den Medien, der Wissenschaft, der Justiz, der Politik und vielen weiteren Bereichen implizierten Hass gegen Frauen transportiert, aufrechterhält und verstärkt. Dies beginnt bei der Nicht-Nennung von Titeln (wie Dr. etc.), über Aberkennung von Lebensleistungen (z.B. in Form von Altersarmut) und endet schließlich in der Verharmlosung von Mord, durch Ausdrücke wie „Familiendrama“. Die Frau wird, wie in Titeln z.B. politischer Gremien/ Einrichtungen unter Familie subsumiert.

Dieses Wording sieht Uta Schleiermacher auch als wichtigen Ansatzpunkt für ihre Arbeit an. Die Journalistin, die für die Tageszeitung taz und den rbb beschäftigt war, setzt sich für Sensibilisierung der Sprache in der Berichterstattung ein. Das DPA hat bereits reagiert und eine Erklärung zur Bezeichnung von Femiziden herausgegeben.

Sensibilisierung muss aber schon früher ansetzen und auch bei Polizei und Justiz ankommen – darin sind sich alle Referentinnen einig. Eine Hauptforderung, die sich aus der Fachtagung Femizide ergibt, ist daher der Wunsch nach nachhaltiger und ausfinanzierter Präventionsarbeit, die sich an alle Menschen richtet.

Text: Claudia Sprengel, Sprecherin FPR

Fotos: CC-by: Claudia Sprengel-nd-nc