32-Stunden-Woche für alle!

Wer will 40 Stunden die Woche arbeiten? Laut Umfragen eigentlich niemand. Zu diesen 40 Stunden kommen Fahrtwege und Pausenzeiten dazu, vielleicht auch noch Überstunden – und dann hat man eigentlich kaum mehr Zeit für etwas anderes. Das Ergebnis ist Stress. Die Krankheitstage steigen, der medizinische Befund „Burnout“ gehört mittlerweile zur Alltagssprache und der sprunghaft ansteigende Absatz von Lebensratgebern und Wellnessaktivitäten muss vermutlich eher als Symptom denn als wirkliche Lösung für diese Probleme verstanden werden.

Beim Potsdamer Frauentalk, veranstaltet von der Potsdamer Gleichstellungsbeauftragten Martina Trauth, hat Prof. Jutta Allmendinger deshalb für eine 32-Stunden-Woche als neue Normalarbeitszeit geworben. Derzeit sei es oft noch so, dass in Paarbeziehungen eine Person Vollzeit berufstätig (meistens der Mann) und die andere Person, vor allem wenn Kinder dazu kommen, zuhause bleibt (meistens die Frau) oder geringfügig beschäftigt ist. Das führe dazu, dass frau abhängig ist vom Mann, denn wenn diese Paarbeziehung nicht hält, steht sie vor großen Problemen: fehlende Arbeitserfahrung, fehlende Netzwerke, keine Rentenpunkte – und so weiter. Das Resultat ist Frauenarmut – vor allem im Alter. Systemisch wird dieses Szenario derzeit staatlich durch das Ehegattensplitting gefördert: Ein Paar (oder besser gesagt das Konto des Besserverdienenden, also erstmal scheinbar beide) profitieren bei der Steuer davon, wenn die Schlechterverdienende nicht oder nur geringfügig arbeitet.

Das andere Modell, nach dem derzeit viele lebten, ist, dass die Frau eben auch Vollzeit arbeitet. Gerade bei uns in Brandenburg sehen es vor allem Frauen, die noch in der DDR aufgewachsen sind, eben glücklicherweise nicht als Selbstverständlichkeit an, dass frau ihr Arbeitsleben an den Nagel hängt und sich auf die Rolle als Mutter und Hausfrau beschränkt. Das ermöglicht der Frau zwar langfristig eine bessere eigenständige Karriere- und Lebensplanung, allerdings fehlt dann die Zeit: Für Kinder, für die kranken Eltern, das soziale Umfeld und für sich selbst. Wenn man genügend Geld hat, kann das Problem der Pflege und Sorge an schlechter bezahlte Pflegekräfte zwar outgesourct werden, aber das kann sich nicht jeder* leisten (am wenigsten die Pflegekräfte selbst).

Wie man es auch dreht und wendet, laut Allmendinger müsse das Thema „Zeitmangel“ als eines der gesellschaftlichen Kernprobleme behandelt werden. Rechtliche und politische Entschlüsse wie sie momentan verhandelt werden, seien zu kurz gedacht, man müsste laut Allmendinger systematisch neu denken: Erwerbstätigkeit neu denken, Ehegattensplitting abschaffen, bessere Infrastruktur für Kinder schaffen und klassische Frauenberufe besser entlohnen.

Viele dieser Forderungen erfordern die Umverteilung von Geld und Zeit. Der Ansatz von Allmendinger setzt zunächst bei der Zeit an – denn Zeitverwendungsstudien zeigten, dass Frauen weit mehr arbeiten wenn man Pflege und Sorgearbeit mit einrechnet. Die These von Allmendinger ist: Man hat einen Sozialstaat geschaffen in dem Frauen das Leben von Männern zu führen haben, Männer aber andersherum nicht das Leben von Frauen. Sie können sich gerne Zeit für ihre Kinder nehmen, das sieht der Arbeitgeber meistens auch gerne, aber sie müssen nicht.

Aber das Problem des Zeitmangels betrifft nicht nur Paare mit Kindern. Auch gleichgeschlechtliche Paare und Singels wünschen sich mehr Zeit. Wie kommen wir also zu einer 32 Stunden Woche als neue Normalarbeitszeit bei vollem Gehaltsausgleich? Diese Frage konnte an diesem Abend nicht abschließend geklärt werden, deutlich wurde aber, dass viele Faktoren zusammenspielen müssten. Ein Kulturwandel hin zu einem Verständnis von Arbeit und Leben, bei dem Selbstbeschädigung bis zum Burnout nicht mehr insgeheim bewundert wird, gehört sicherlich genauso dazu wie eine offene Debatte über die Verteilung der versteckten Arbeiten in Haushalt und Beziehung und eine Sozialstaatspolitik, die auch im Interesse der sozialen Nachhaltigkeit auf die Reduktion von Arbeitszeiten drängt. Auch wenn das zunächst wie eine unlösbare Aufgabe klingen mag: Der Vortrag von Frau Allmendinger hat gezeigt, dass kein Weg daran vorbeiführt, sich dieser Herausforderung zu stellen.

Text: Verena Letsch, Referentin des FPR