Frauenkampftag im Frauenzentrum Potsdam – Worum es uns geht

Posted by on Mrz 11, 2017 in Allgemein

Im Frauenzentrum Potsdam wurde heute der Frauenkampftag gefeiert. Das Motto war auch hier „Frauen MACHT faire Chancen“. „Der Tag heute reiht sich (…) in weitere 364 Tage des Jahres ein, in denen wir um unsere Rechte streiten müssen. Dieser Tag heute steht symbolisch für dieses Ringen um Frauenrechte. Denn von alleine passiert nicht viel“, so Martina Trauth-Koschnick, die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Potsdam.

Am 8. März wird seit hundert Jahren auf geschlechtsbezogene Probleme aufmerksam gemacht, so auch in diesem Jahr. Hierbei geht es um eine lange Liste: „Dass Frauen täglich 52 Prozent mehr unbezahlte Tätigkeit für andere leisten als Männer: Mit der Erziehung von Kindern, mit der Pflege von Angehörigen, mit Ehrenämtern und Hausarbeit.“ Auch der Gender Pay Gap gehört dazu, wonach Frauen noch immer weniger verdienen als Männer – auch für die gleiche, mindestens aber für gleichwertige Arbeit. Eines der unbequemeren Themen wird ebenfalls von Martina Trauth-Koschnick angesprochen – Sexismus:

„Über die Einforderung einer geschlechtergerechten Sprache oder auch das Eintreten gegen Alltagssexismus werden leider immer noch  häufig Witze gemacht. (…) Frauenverachtendes Design wird manchmal als Kunst deklariert, sexistische Anmache oftmals als Kompliment runtergespielt. Und dann schlagen die Wogen hoch und es wird hitzig und emotional über Sexismus diskutiert. Die allerwenigsten Menschen würden von sich behaupten, Sexist oder Sexistin zu sein. Entsprechend abwehrend agieren viele, wenn eine Handlung oder Äußerung als sexistisch bezeichnet wird. (…) Dabei geht es gar nicht darum einen einzelnen Menschen anzuklagen. Viel wichtiger ist aber, dass konkrete, einzelne Situationen stets Ausdruck eines strukturellen gesamtgesellschaftlichen Problems sind. Und dieses Problem bekommt man nur konkret in den Griff, wenn man es auch beim Namen nennen darf. Gleichstellungspolitik braucht deswegen weniger einen anklagenden Ton und Moral, sondern viel mehr einen offenen Dialog, bei dem der Austausch über Diskriminierungserfahrungen und die Suche nach Veränderungen im Vordergrund stehen.“

Zum Motto der brandenburgischen Frauenwoche sagte Jenny Pöller, Mitarbeiterin im Frauenzentrum Potsdam, Frauen müssten mehr politische Ämter ausüben. In der Landeshauptstadt Potsdam sind von 57 Stadtverordneten nur 18 Frauen. Alle Fraktionsvorsitzenden sind männlich. Die Führungspositionen in der Stadtverwaltung und in den städtischen Gesellschaften zeigen ein ähnliches Bild. Das muss sich ändern, so Martina Trauth-Koschnick, „wenn Potsdam seinem Anspruch „Eine Stadt für alle“, wie es das Leitbild postuliert, gerecht werden möchte.“

Eine Möglichkeit dieses demokratische Defizit zu beheben wäre ein neues Gesetz, dass Einfluss auf die Sitzverteilung in den Parlamenten nimmt – ein Paritäts-Gesetz: Uta Kletzing, Mitarbeiterin bei der EAF (Europäische Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft) hält einen Vortrag zum Thema „Parität in den Parlamenten – jetzt!“ Sie schließt damit an den vor 99 Jahren zum ersten Mal begangenen internationalen Frauentag an, bei dem es unter anderem um die Forderung des Frauenwahlrechts ging.

Frauen, die an politischen Entscheidungen beteiligt sind, so erhoffe man sich, handeln eher im Interesse von Frauen – man könne zumindest davon ausgehen, dass Frauen wenigstens nicht frauenfeindlich sind. „Die Abschaffung von Geschlechterhierarchien rückt nur näher, wenn auch Frauen an die Macht kommen“, so Uta Kletzing.

Das Frauenwahlrecht scheine uns heute selbstverständlich. Irgendwann werde es hoffentlich auch selbstverständlich, dass Frauen Politik machen. Im Bundestag sind es bislang nur 36,8 %, in Länderparlamente 32,6 % (Frauenanteil in Brandenburg: 36,4%), der Anteil sinkt nochmal stark in Kreistagen: 24,7 % und Stadt- und Gemeinderäte: 24,0 %. Es gehe nicht darum, dass Frauen sich an die Politik annähern, sondern dass die Politik sich den Frauen annähert. Das Paritätsgesetz solle Einfluss auf strukturelle Maßnahmen nehmen: die Listenplatzbesetzung. Das Gesetz könnte neue Regelungen einführen, zunächst eine einfache Quotierung, also 50/50, die nächste Stufe ist ein Reißverschlussprinzip, also abwechselnde Listenplatzverteilung, die dritte Stufe wäre, dass Platz 1 pro Partei in 16 Bundesländern 8 Spitzenplätze auf Frauen und 8 auf Männer verteilt werden.  Man könnte hierfür Anreize schaffen und Auflagen erlegen. Wirksamer wären aber finanzielle Sanktionen, oder auch Zurückweisung von Wahllistenvorschlägen. Dafür müsste eine bundesweite Stelle eingerichtet werden, aber der Bürokratieaufwand wäre sicher lohnend, wenn er uns dem Ziel einer gerechteren Teilhabe an der gesellschaftlichen Macht näher bringe.

Insgesamt war die Veranstaltung, an der über 50 Frauen teilnahmen, und in der neben einer angeregten Diskussion auch Raum für Gespräche und Unterhaltung blieb, ein anregendes Forum für den Austausch über die Herausforderungen der Geschlechterpolitik in Brandenburg und darüber hinaus.

Ein solcher Tag ist selbstverständlich viel zu kurz um die angerissenen Fragen erschöpfend zu bearbeiten. So kann man sicherlich die Frage stellen, ob ein Paritäts-Gesetz denn reiche, wenn Frauen einfach weniger Zeit für politische Arbeit hätten weil sie z.B. mehr Verantwortung für die Sorgearbeit übernehmen, und es sich außerdem nicht leisten könnten, weil sie weniger Geld verdienen – damit wären wir wieder beim Gender Pay Gap. Der Einwand ist also prinzipiell richtig, politisch bedeutet das aber nur, dass es für die anderen 364 Tage im Jahr noch viel zu tun gibt.

Dennoch bleibt festzuhalten, dass die Verteilung der politischen Ämter in der Bundesrepublik dem Anspruch auf Gleichstellung nicht entspricht. Zudem muss betont werden, dass von einem solchen Gesetz, wie von gleichstellungspolitischen Maßnahmen allgemein, gelten sollte, dass perspektivisch nicht nur die Schere zwischen den Geschlechtern geschlossen werden soll: auch People of Color, Menschen mit Behinderungen, queere Personen und Migrant*innen müssten davon profitieren – letztendlich auch Männer, denn bei Gleichstellung geht es um Gerechtigkeit, und das ist mehr als ein Glaubenssatz: Von einer gerechteren Welt profitieren letztendlich alle.

 

Text: Verena Letsch

Fotos: Simone Ahrend